Eine Geschichte vom Loslassen, Neubewerten und Ändern

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girdie Avatar

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In ihrem Roman „Wir für uns“ erzählt Barbara Kunrath über zwei Frauen von ganz unterschiedlichem Charakter. Gemeinsam ist ihnen, dass sie in dem kleinen hessischen Dorf Solbach wohnen. Der Titel bringt eine Entwicklung der beiden Frauen zum Ausdruck, die ich als Leserin im Roman nachvollziehen konnte. Das Cover spiegelte mir eine heile Welt in der Geschichte vor, doch zwischen den Seiten haben Josie und Kathie, die beiden Protagonistinnen, mit einigen Sorgen und Problemen zu kämpfen.

Josie ist 41 Jahre alt, wohnt seit zwei Jahren in Solbach und arbeitet als Sozialarbeiterin beim Jugendamt. Ihr Freund Bengt ist verheiratet, seine Frau weiß nichts von seiner Affäre. Er ist seit neun Jahren mit Josie liiert und besucht sie einmal in der Woche am immer gleichen Tag. Für Josie ist das Arrangement akzeptabel, weil es ihr genügend persönliche Freiheiten lässt. Aber jetzt ist sie aufgrund einer Intoleranz unverhofft schwanger geworden, Bengt möchte das Kind nicht. Josie muss sich zwischen ihrem Kind und Bengt entscheiden.

Kathi ist 70 Jahre alt und ein Solbacher Urgestein. Früher hatte sie einen Lebensmittelladen im Ort, in dem sie von Kindesbeinen an gearbeitet und schließlich von ihrem Großvater übernommen hat. Sie hat einen verheirateten Sohn, dessen Ehe sich in einer Krise befindet. Jetzt ist ihr Mann plötzlich verstorben und sie muss mit ihrem Alleinsein zurechtkommen.

Eigentlich haben die beiden Protagonistinnen schon genug mit sich und ihren aktuellen Problemen zu kämpfen, doch hintergründig blitzt im Roman auf, dass es noch weitere Geheimnisse in der jeweiligen Familie gibt über die der Mantel des Schweigens von den Betroffenen gelegt wurde. Das Verhältnis von Josie zu ihrer Mutter ist schwierig, ihr Vater ist tot, die Eltern waren geschieden, ihr älterer Bruder ist ihr Anker. Sie hadert mit ihrer Rolle in der Familie, denn sie hat sich immer mehr Nähe und Zuwendung gewünscht. Die Erfahrungen fließen in ihren anstehenden Entschluss ein. Durch Zufall lernt sie Kathi kennen, deren Leben als selbständige Kauffrau sie viel Zeit und Kraft gekostet hat. Kathie hinterfragt ihr Handeln in Bezug auf ihr Verhältnis zu Sohn und Ehemann.

Josie erzählt aus der Ich-Perspektive, das gab mir die Möglichkeiten ihren inneren Auseinandersetzungen folgen zu können. Auf Kathie blickt Barbara Kunrath als allwissende Erzählerin, wobei sie auch deren Gedanken immer wieder aufgreift. Beide Protagonistinnen durchlaufen im Roman eine Entwicklung, die hin führt zu lebensverändernden Entscheidungen, der viele Überlegungen vorhergehen und für die eine gewisse Unsicherheit für die Zukunft bleibt. Doch beide haben eine positive Grundeinstellung zum Leben und die Stärke dazu, auch Tiefpunkte zu überwinden. Die Autorin fügt die authentisch wirkende Erzählung der beiden Lebensgeschichten in ein realistisch vorstellbares Umfeld ein, mit ebenfalls interessanten Nebenfiguren.

Der Roman „Wir für uns“ von Barbara Kunrath führt zwei unterschiedliche Frauen mit ganz verschiedenen Problemen in einem kleinen Ort in Hessen durch Zufall zusammen. Es ist eine Geschichte vom Loslassen, Neubewerten und Ändern, die zum Nachdenken anregt über sich selbst und dem eigenen Ziel im Leben. Sie regt dazu an, die vielen, oft unbeachteten kleinen Momente im Alltag zu genießen. Gerne empfehle ich das Buch weiter.