Etwas überfrachtet

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Mit Anfang 40 wird Josie schwanger. Vater ist ihre Langzeitaffäre Bengt, der eigentlich kein Interesse daran hat, etwas an seinem Verhältnis zu Josie zu ändern. Er hat ja bereits eine Familie mit einer anderen Frau, die er nicht aufgeben möchte. Josie sieht sich nun vor die Entscheidung gestellt für sich selbst und das Kind oder für Bengt – eine große Herausforderung, wenn man in den letzten Jahren seine eigenen Interessen im hintenan gestellt hat.
Auch Kathi findet sich in einer neuen Lebenssituation. Bei ihr geht es aber nicht um die Geburt eines neuen Lebens, sondern um den Verlust. Ihr Mann Werner ist verstorben und sie muss sich nun in einem Leben zurechtfinden, dass eigentlich auf ein Ehepaar ausgerichtet war. Ihr Sohn ist ihr dabei keine besonders große Hilfe, denn den Zugang zu ihm scheint sie völlig verloren zu haben.
In dieser Umbruchsituation treffen die beiden Frauen durch einen Zufall aufeinander und finden jeweils einen Platz im Leben der anderen.

Barbara Kunrath erzählt in ihrem Roman „Wir für uns“ die Geschichte zweier Frauen, die total aus dem Leben gegriffen erscheinen. Der Beginn des Romans war aus meiner Sicht sehr stark, ich konnte mich sehr gut in die Situationen einfinden und insbesondere Josie war mir sehr nah. Nicht unbedingt weil ich mich persönlich mit ihrer Situation identifizieren konnte, sondern weil ich mich direkt mit ihr solidarisiert habe und sie trotz ihrer Naivität in Bezug auf Bengt eine sehr sympathische Person zu sein scheint. Kathis Part fand ich ebenfalls interessant, war ihr aber weniger nah. Vermutlich auch weil der Solidarisierungseffekt bei ihr einfach wesentlich schwächer war.

Gerade Josies Geschichte ist aus meiner Sicht sehr interessant. Es geht nicht nur um die Probleme mit Bengt, sondern auch um die Probleme einer „Spätgebärenden“. Auch Kathi setzt sich mit ihrer Beziehung zu Werner auseinander und bekommt einen ganz neuen Blick auf ihr Leben. Für beide Frauen spielt auch die Familie eine große Rolle und nimmt im gesamten Roman einen großen Raum ein.

Meine Begeisterung vom Beginn konnte sich leider nicht durch das ganze Buch halten. Insgesamt erschien mir der Roman recht früh überfrachtet von „Nebendarstellern“ und verschiedenen inhaltlichen Baustellen. So konnte ich mich über einige Entwicklungen zwar freuen, sie aber nicht wirklich nachvollziehen. Ich hätte mir gewünscht, dass die Autorin sich auf die großen Erzählstränge konzentriert und die vielen kleinen Nebenschauplätze weglässt, die die Geschichte an vielen Stellen auch nicht wirklich weiter gebracht haben.

Nichtsdestotrotz habe ich das Buch sehr gerne gelesen, denn die Autorin beschreibt ihre Protagonisten sehr lebhaft und man möchte gerne wissen, wie es mit ihnen weiter geht. Sie baut auch immer wieder aktuelle Themen/bekannte Personen in die Erzählung ein, was mir ganz gut gefallen hat. Insgesamt ist ihr Schreibstil sehr eingängig und macht Spaß zu lesen.

Durch die Überfrachtung der Geschichte geht leider der Fokus etwas verloren. Trotzdem hat mir „Wir für uns“ von Barbara Kunrath einige interessante Denkanstöße gegeben. Kein Jahreshighlight, aber durchaus eine angenehme Lektüre, die auch zum Nachdenken anregt.