Entdeckungsreiche Unbegreiflichkeit

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"Eine Kindheit in unkonventionellen Verhältnissen, das geteilte Berlin, Familienbande und Wahlverwandtschaften, lange, glückliche Sommer am Meer. Judith Hermann spricht über ihr Schreiben und ihr Leben, über das, was Schreiben und Leben zusammenhält und miteinander verbindet." (Klappentext)

Judith Herrman zelebriert in ihren Frankfurter Poetikvorlesungen #wirhättenunsallesgesagt beeindruckend in kafkaesker Manier Stimmungen für das Empfinden einer Nichtzugehörigkeit in familiären Situationen, die in ihren erzeugten Beklemmungen selbst die Kehle des Lesers zuschnürt. Sie erzählt von einer ergrauten Himmelsdecke, die sich unbemerkt offenkundig sturmflutartig über eine Familie spreizt - unkontrolliert jedes Licht erstickt, jedes unausgesprochene Wort, jedes Lachen, jedes freudvolle Zusammensein in ihre dunklen, mächtigen Wolken bettet.

"Für das Wort Glück musste Gott um Verzeihung gebeten werden." (S.77)

Mit allen Sinnen umkreist hier die Poesie das Leben und kämpft in einem klaren, prägnant realen Ton für die unbegreifliche Wirklichkeit, die sich in ihrer Ungeheuerlichkeit versteckt, im Verschweigen genüsslich rastend verborgen bleibt. Judith Hermanns Schreiben sticht stets entdeckungsreich in diese Unbegreiflichkeit, in dem sie mit vollem Bewusstsein tragende Räume umschifft, und gerade damit Leser*innen animiert, das Verborgene zwischen den Zeilen mit sich fürchtenden Blicken zu erkunden - den individuellen Mut aufzubringen, sich von der Unsicherheit des verborgenen Wortes erwärmen zu lassen.

"Jede Geschichte erzählt von einem Gespenst. Am Ende ist das Zentrum der Geschichte ein schwarzes Loch, aber es ist nicht schwarz, und es ist nicht finster. Es kann im besten Falle glühen." (S.128)

Vielen lieben Dank an @s.fischer für das #Rezensionsexemplar

Das Foto ist in der Buchhandlung Filiale Heidelberg Hauptbahnhof @schmittundhahn entstanden.