Über das Ungesagte

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kalligraphin Avatar

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„Jede Entscheidung für eine Geschichte schlägt unzählige andere Geschichten aus. Ein Wort vernichtet ein anderes Wort. Schreiben heißt auslöschen.“ (7%)

In ihrem aktuellen Buch nähert sich Judith Hermann scheinbar autobiografisch ihren bisherigen Geschichten. Was dabei entsteht ist eine sehr besondere neue Geschichte.
Wer Judith Hermanns Werk kennt, weiß, dass sie vieles in ihren Geschichten ungesagt lässt: Sie lösen in uns Lesern Bezüge und Emotionen aus und wir bleiben frei darin, sie zu interpretieren.

„Wir hätten und alles gesagt“ setzt eine Ebene höher an. Wir scheinen uns über allem bisher von Hermann Geschriebenem zu befinden und sie verrät uns ein wenig über den Schreibprozess und die Hintergründe zu ihren Geschichten. Aber tut sie das wirklich? Am Ende dieses Buches war ich mir da nicht mehr so sicher. Denn auf der einen Seite scheint „Wir hätten uns alles gesagt“ zu analysieren und Persönliches aus dem Leben der Autorin preiszugeben; auf der anderen Seite ist es wieder ein typischer Hermann-Roman. Alles bleibt in der Schwebe.

Und auch in diesem Buch geht es wieder um zwischenmenschliche Beziehungen, die so vielfältig und manchmal schwierig sein können. Es geht um ungewöhnliche Freundschaften, die familiäre Herkunft und um Wahlverwandschaften.

„Wie hätten uns alles gesagt“ hat mich unheimlich tief berührt und angesprochen. Für mich ist dieses Spiel mit dem Ungesagten, das Judith Hermann so meisterlich beherrscht, tiefgründig und aufregend. Und so sehr mich ihre Kurzgeschichten beeindrucken - Hermanns Romane (und dieses Buch zähle ich dazu) sind für mich noch bedeutender.