Eine Liebe, die nicht sein darf

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lesemöwe Avatar

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Der erste Satz des Romans "Wir sehen uns am Meer" von Dorit Rabinyan lautet: "Jemand war an der Tür". Sofort ist man gefesselt, denn nun kann alles passieren... und tatsächlich wirkt das erste Kapitel wie in einem Krimi, denn die Hauptfigur, die Israelin und Ich-Erzählerin Liat, bekommt in ihrer Wohnung in New York Besuch von zwei FBI-Agenten. Es wurden Verdächtigungen gegen sie ausgesprochen, weil sie jemand beobachtete, als sie in einem Café saß und Texte ins Hebräische übersetzte, denen die Agenten nun nachgehen, die sich aber als völlig haltlos erweisen.

In eben diesem Café trifft sie später auf den Palästinenser Chilmi, der ein Freund ihres Freundes Andrew ist, mit dem sie eigentlich verabredet ist.
Sofort wird deutlich, dass sich etwas Besonderes zwischen den beiden entwickelt, was aber nur sein kann, weil sie beide weit entfernt von ihrer Heimat in New York leben.
So besonders wie diese Liebe ist auch die Sprache des Textes : " Wo also beginnen? Wie das Antlitz eines Menschen unter so vielen Gesichtern auffinden und mit einigen abgenutzten Eigenschaftswörtern bezeichnen? Wie seine Züge so geheimnisvoll darstellen, wie sie mir damals bei unserer ersten Begegnung erschienen? Wie unter unzähligen braunen Augen die seinen suchen, die sanft, klug und offenherzig blickten, in jener Situation aber auch verwundert und ein wenig verwirrt? Wie seine Lippen nachzeichnen, die Nase, die Augenbrauen, das Kinn?" (Seite 27)- dieses Zitat zeigt, wie mit sprachlichen Mitteln wie den Anaphern "Wie ..." die Gefühlssituation der Erzählerin verdeutlicht wird. Besonders sind auch die poetischen Sätze wie "»Weißt du, eines Tages«, fuhr er gutmütig fort, »wird das Meer uns allen gehören, und wir werden dort gemeinsam schwimmen.« (Seite 41).

Dass dies nicht so einfach passieren wird, wird deutlich, je intensiver und fester ihrer beider Beziehung wird: In Gesprächen oder vielmehr hitzigen Diskussionen zwischen den beiden, im Verhalten gegenüber Bekannten, Freunden und Verwandten offenbart sich das Dilemma, in dem die beiden gefangen sind. Liat formuliert an einer Stelle: "Bei meinen Gesprächen mit Chilmi ist mir oft etwas Ähnliches passiert: Ich verfalle in ein fast schon pathisches Pathos und verspüre eine Art schicksalhafte Verantwortung, als trüge ich die Zukunft des Staates Israel auf meinen Schultern, als hinge das Schicksal des jüdischen Volkes von dem ab, was ich jetzt vorbringe" (Seite 225) und an einer anderen: " "Es war, als hätte er gesagt: Du stehst seit dem Tag, an dem wir uns kennen gelernt haben, zu deinen Eltern und zu deiner Familie, zu deinem Stamm, jetzt aber bin auch ich einmal von meinen Leuten umgeben. In der Stunde der Wahrheit entschied er sich für seine angeborene Identität, ließ mich im Stich und hielt zu seinem Bruder. In der Stunde der Wahrheit gehörte er zu ihnen. (...) Ich aber erkannte in seinem Verhalten mein eigenes, erkannte, wie oft ich ihm den Rücken zugekehrt hatte." (Seite 236).

Das Meer nimmt als Symbol eine wichtige Rolle ein: Es taucht bereits im Titel auf, weckt dort zunächst positive Konnotationen. Die auf dem Titelbild angedeuteten Wellenlinien lassen sich auch auf die Meeressymbolik zurückführen und lassen gleichzeitig die Deutung des Auf und Ab in einer Beziehung zu. Auch zwischendurch taucht es in Form von Wünschen (siehe oben, Zitat von Seite 41) wieder auf. Und es spielt am Ende eine ganz zentrale Rolle...

Auf der Rückseite des Covers steht ein Zitat von Amos Oz, der den Roman als einen "präzisen und eleganten Liebesroman, aufs Feinste gezeichnet" bezeichnet. Diesem Urteil kann ich mich nur anschließen. Es ist ein besonderer Roman, einer der leisen Töne, der auch ohne große Action und Dramen auskommt, dafür umso mehr fokussiert ist auf die Darstellung der Gefühle der Hauptfiguren in ihrer Liebe, und durch die poetische Sprache überzeugt.

Interessant ist, dass das Buch von der israelischen Erziehungsministerin von der Lektüreliste der Oberstufe gestrichen wurde (siehe Innenseite des Schutzumschlages). Hier wäre eine kurze Hintergrundinformation in einem Nachwort o.Ä. aufschlussreich gewesen.