Eine wirklich komplizierte Beziehung

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aennie Avatar

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In New York treffen sich die 29-Jährige Israelin Liat und der 27-Jährige Palästinenser Chilmi. Sie verlieben sich ineinander, wohl wissend, dass ihre Verbindung eine besondere, nicht alltägliche ist und zudem auf Zeit: Liat verbringt nur ein Jahr in New York. Bevor sie nach Tel Aviv zurückkehren wird. Chilmi ist Künstler und lebt seit 4 Jahren in der Stadt. Was folgt, ist eine niemals konfliktfreie, chaotische und liebevolle Beziehung, die manchmal wie im Taumel und unwirklich erscheint. Während des härtesten Winters in New York seit vielen Jahren leben, lieben und frieren die beiden in ihrer eigenen Welt, frei, hier an diesem Ort ihre Liebe zu leben, auch im Freundeskreis und doch immer sich dem Spannungsfeld Israel – Palästina bewusst, sei es bei Diskussionen oder Begegnungen mit anderen, der Familie, die nichts von den beiden wissen soll (zumindest auf Liats Seite) und dann wiederum dem Unverständnis dem anderen gegenüber, wie er oder sie mit dieser Situation umgeht. Als der Winter New York aus seiner eisigen Faust entlässt und der Frühling kommt, stehen viele Zeichen auf Abschied und in Chilmi reift der Entschluss, Liat indirekt zu folgen. Nach ihrer Rückkehr nach Tel Aviv will auch er seine Familie im Westjordanland zum ersten Mal seit Jahren besuchen. Nur 60 km voneinander entfernt, könnte die Kluft und die Unüberwindbarkeit der Distanz zwischen den beiden nicht größer sein. Den Ausgang der Geschichte, und ob Liat und Chilmi einen Weg finden sich zu treffen, am Meer oder anderswo möchte ich nicht vorweg nehmen.
Die Geschichte wird erzählt aus Liats Sicht und ist in einer unglaublich detailverliebten, deskriptiven Sprache verfasst. Zum Teil ufern Beschreibungen von Orten, Stimmungen, Gerüchen, Farben, Luft… etwas aus, zumal sie nicht dazu beigetragen haben, bei mir ein lebendigeres Bild der Handlung hervorzurufen. Einzig im dritten, Frühling betitelten, Teil des Buches gefiel mir dieser Stil besser. Die Schilderungen von Chilmis Garten wirken durch ihren berichtenden, fast retrospektiven Erzählcharakter für mich viel lebendiger als Liats teilweise ausufernde Nabelschau. Und gerade weil mir das Ende, oder besser der Schlussteil des Buches sehr gut gefallen haben, werte ich es in seiner Gesamtheit positiv. Zu diesem Fazit trägt auch bei, dass dieses Buch es zumindest in meinen Augen schafft, keine eindeutige politische Position zu beziehen, wobei absolut klar ist, warum es in Israel als eher Pro-palästinensisch gewertet wird. (oder zumindest nicht neutral). Schwächen oder sogar Verfehlungen beider Seiten werden nicht unter den Teppich gekehrt sondern benannt.
Was mir leider überhaupt nicht gefallen hat, war im Grunde, und das klingt schon fast paradox wenn ich es jetzt schreibe, die Beziehung der beiden. Man kann im Prinzip nur platt sagen „wo die Liebe hinfällt“, aber warum Liat sich in Chilmi verliebt hat und eine Beziehung mit ihm führt, ist mir vollkommen schleierhaft. Ich habe mich permanent gefragt, was sie mit diesem halben Kind, diesem kiffenden chaotischen Maler will? Auf der einen Seite hilflos wie ein kleines Rehkitz, dann wiederum stur und unkooperativ, einfach viel zu anstrengend, kompliziert nicht nur aufgrund der offensichtlichen sondern auch der charakterlichen Gegenpole. Das hat mich einfach während des Lesens immer wieder gestört. Jedes Mal wenn Liat eine ihrer ausführlichen Betrachtungen anstellt und auch (wieder mal) ein wie auch immer gearteter Konfliktherd mit Chilmi auftauchte, dachte ich mein Gott, warum tut sie sich das nur an. Erwachsen geworden, ein ernst zu nehmender Mensch geworden, ist Chilmi für mich erst in den Schilderungen des dritten Teils, in seinem Engagement, seinem Wirken in seinem Haus. Wie sinnvoll auch dieser Übereifer zu werten ist, wenn er nach sechs Wochen diese Wirkungsstätte verlässt, sei dahingestellt, aber werten wir es mal als nachhaltiges Denken für den Nachmieter.
Von daher sind trotz Liebesgeschichte beide Protagonisten für mich permanent eher blass und nicht in erster Linie sympathisch geblieben.
Fazit: ich habe mir mehr erwartet, es war nicht schlecht, der dritte Teil hat mich etwas versöhnt, nur war er leider vom Umfang her deutlich kürzer als die beiden vorherigen, aber was hätte er auch noch mehr her gegeben? Es war mal was anderes, es ist keine platte Liebesgeschichte, es ist aber auch kein toller Gesellschaftsroman - vom Hocker haut es mich leider nicht.