"Keiner von uns wird je wieder derselbe sein."

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theresia626 Avatar

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„Der Anblick des sterbenden Pferdes hat die weggesperrten, gespenstischen Erinnerungen meiner Vergangenheit wiederbelebt. Erinnerungen an die, die ich einmal meine engsten Freunde genannt habe. Und an den einen, der mich bis heute nicht loslässt.“ Diese Erinnerungen bringt William Sheppard – der Ich-Erzähler – nach fast 50 Jahren zu Papier.

 

Wills Mutter wird Heiligabend 1962 von seinem alkoholkranken, äußerst brutalen Vater vergewaltigt. In dieser Nacht schwört er Rache. „Der andauernde Kampf meiner Jugend drehte sich darum, welches Gefühl die Oberhand gewann: der Instinkt, meine Mutter zu beschützen, oder die panische Angst vor meinem Vater. Viel zu oft siegte die Angst.“ Da er die ständigen Misshandlungen und Gewaltexzesse nicht mehr ertragen kann, kommt es wie es kommen mußte: nach einem weiteren brutalen Übergriff rammt er seinem Vater ein Messer in die Brust. Dafür wird er zu zwei Jahren Jugendstrafe, zu verbüßen in einer Erziehungsanstalt in Colorado, verurteilt. Will versteht die Welt nicht mehr, denn seine Mutter empfindet für ihn nur Abscheu.

 

Im September 1963 wird Will, gerade mal 13 Jahre alt, auf die Swope Ranch, die fernab jeglicher Zivilisation liegt, gebracht. Gleich bei seiner Ankunft wird ihm klargemacht: „Wir werden dich abknallen, William, wenn wir dich außerhalb unserer Grenzen antreffen, und zwar ohne lange zu fackeln“. Die Angst ist auch hier sein ständiger Begleiter. Auf der Ranch werden wilde Mustangs zum gewinnbringenden Weiterverkauf abgerichtet. Die Jugendlichen müssen die Pferdeställe ausmisten, Reparaturen an Zäunen und Dächern ausführen, Waschraumdienst (eine abscheuliche Arbeit) und andere Gelegenheitsarbeiten ausführen und dürfen nach einigen Monaten mit den Abrichtern zusammenarbeiten. Als acht Mustangs aus einer zuvor reparierten Pferdekoppel ausbrechen, dreht der Direktor fast durch, ihm geht viel Geld verloren. Ein Suchtrupp wird zusammengestellt. Frank Kroft, der schlimmste Aufseher, führt sie an. Was dann passiert ist erschreckend und unbeschreiblich.

 

Auch wenn es kein autobiografischer Roman ist, so oder so ähnlich könnte es sich in den 60er Jahren in den USA oder anderswo auf dieser Welt zugetragen haben. Vorstellen mag man sich das trotzdem nicht. Von einer Erziehungsanstalt kann man nicht im Entferntesten reden, hier werden die Jugendlichen schwer mißhandelt und nicht erzogen. Gewalt ist das vorherrschende Thema. Psychische und physische Übergriffe untereinander, allen voran Silas Green („Sheppard, ich verrate dir was. Es wird mir nicht das Geringste ausmachen, dich umzulegen“), und die extreme Brutalität der Aufseher, die auch nicht vor Mord zurückschrecken, stehen auf der Tagesordnung. Selbst vor sexuellen Übergriffen durch die Wärter können sich die Jugendlichen nicht schützen. Das ist harte Kost, trotzdem muß man weiterlesen. Es geht aber auch, und das ist das erfreuliche an diesem sehr ergreifenden und erschütternden Roman, um Freundschaft und Liebe. Die Freundschaft zwischen Will, Benny, Mickey und Coop ist einzigartig und wird in den Monaten ihrer Gefangenschaft immer inniger. Wären die Könige von Colorado, wie sie sich selbst nennen,  in einem \>anderen\< Leben auch Freunde geworden? Wohl ja, aber nicht so herzergreifend innig und liebevoll. Hier, an diesem grausamen Ort, waren alle gleich und aus ihrer Not heraus entwickelte sich diese tiefe Freundschaft, ohne die sie das alles keinesfalls ertragen hätten. Beim Kartenspielen im Schlafsaal können die Jungs manchmal ihr ganzes Elend um sich herum vergessen, sich freuen und ein klein wenig Spaß haben. Doch das Vergessen hält nie lange an. …“und wenn wir gerade überhaupt nicht damit rechnen, holt uns die Ranch wieder in die Wirklichkeit zurück. Tritt uns in den Arsch und stößt uns vor den Kopf. Reißt uns das Herz raus, nur so zum Spaß. Die Ranch ist ein Gefängnis.…“ Trost und mütterliche Zuwendung finden Will und seine Freunde bei der Krankenschwester der Ranch, Miss Little, die sie liebt, als wären sie ihre eigenen Söhne. Etwas zu schnell kommt David E. Hilton dann zum Schluß. Gerne hätte ich noch mehr erfahren über Wills Leben bei seinem Großvater und was aus seinem Vater geworden ist. Alles in allem ist der Roman „Wir sind die Könige von Colorado“ ein eindrucksvolles Werk, das sich unwahrscheinlich gut lesen läßt. Es gibt nur wenige Bücher, die mir so nachhaltig im Gedächtnis bleiben werden, wie dieses. Ich kann es uneingeschränkt empfehlen und freue mich jetzt schon auf einen weiteren Roman von David E. Hilton.