Frauenleben über drei Generationen

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angie99 Avatar

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Valeries Mutter Christina erkrankt an Krebs. Sie „sagt nichts; stattdessen ergreift ihr stiller Vorwurf Besitz vom Zimmer. Eine Kletterpflanze, deren schales Grün von Sumpf und Schatten erzählt. Sie wuchert. (…) ‚Ich lebe so gern‘, sagt Mama in die Stille. Die Tränen, die ich den ganzen Tag zurückgehalten habe, drängen nach draußen. Ich greife nach Mamas Hand und lege sie zwischen meine Handflächen. Wir sitzen im Dickicht und weinen.“ (S. 15-16)
Das Verhältnis der beiden Frauen ist schwankt zwischen verbindenden Kichergeheimniskrämereien und verbitterten gegenseitigen Anschuldigungen.

Debütautorin Felicitas Prokopetz untersucht diese Mutter-Tochter-Beziehung, indem sie Valeries Großmütter in ihren Roman einbezieht: schon Christines Mutter Martha, von ihrer Mutter mit 14 Jahren zu Verwandten geschickt, konnte ihr nicht die erhoffte Liebe entgegenbringen.
Auch die Mutter von Valeries Vater Roman, die sich an den Wochenenden um ihre Enkelin gekümmert hat, hat auf ihre Weise mitgeprägt.

Übergangslos springen die Kapitel zwischen Figuren, Zeiten und Schauplätzen umher. Ich hätte mir statt einleitenden Sätzen à la: „Charlotte, die später einmal Romans Mutter und noch später Valeries Omi sein wird“ einen schematischen Stammbaum auf einer Umschlagsklappe gewünscht. Denn besonders zu Beginn ist die unzusammenhängende Vielzahl an Figuren sehr verwirrend und hemmt den Lesefluss.

Vier Frauen, deren Leben schlaglichtartig beleuchtet werden: das ist ambitioniert für einen gerade mal 200seitigen Roman, und in meinen Augen leider zu viel Stoff, um wirklich in die Tiefe gehen zu können.
Obwohl es der Autorin gelingt, einige eindrückliche Bilder zu zaubern, feministische Anklänge ohne erhobenen Zeigefinger unterzubringen und die Verbindungen zwischen den einzelnen Biographien herauszuarbeiten - was wohl auch ihr primäres Anliegen war - blieben mir die (überwiegend weiblichen) Protagonisten fremd und distanziert. Valeries überängstliches Klammeräffchenverhalten ihrem 16jährigen Sohn Tobi gegenüber fand ich übertrieben und hat bei mir öfters mal für Augenrollen gesorgt.

„Wir sitzen im Dickicht und weinen“ ist keine traurige, aber ernste Auseinandersetzung mit familiären Prägungen, Abhängigkeiten und dem Drang nach Selbstverwirklichung, der vor allem den Frauen so oft verwehrt bleibt. Sprachlich eher einfach gehalten, ohne trivial zu sein, mit dialektalen Einschüben. Mit seinem komplexen Aufbau eine fordernde, aber auch lohnenswerte Lektüre für alle, die sich für Familiensagas interessieren, ohne sich durch ein armdickes Buch kämpfen zu müssen.