Beklemmende Jahre zum olympischen Sommer

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heike lohr Avatar

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Heidi Rehn hat mit ihrem zeithistorischen Roman "Wir träumten vom Sommer" von einer modernen, vor Jahren wirklich zeitgeschichtlichen, zeitgenössischen Situation geschrieben.
Die bekannten olympischen Spiele 1972 in München, das zu einer Metropole mit Ubahnnnetz und olympischen Dorf umgebaut wurde. Das Maskottchen war der berühmte Dackel Waldi.
Amrei studiert im Jahr 1967/68 und 1972 in München, obwohl sie aus der Oberpflaz stammt. Irgendwie hat ihr Vater ihr doch einen Teil des Studiums finanziert. Sie kann bei ihrer Großtante Annamirl leben, die sehr viel Verständnis zeigt und ein vollkommen progressives Leben geführt hat, wie sich schließlich am Ende des olympischen Intermezzos herausstellen sollte.
Amrei in ihrer Zerrissenheit zwischen ihrer ländlichen Herkunft und der mondänen Großstadt, die zuerst eine Riesenbaustelle ist, die sich die olympischen Spiele rüstet.
Aus ihrer authentisch geschilderten Zerrissenheit zwischen den Kommiltoninen und den zwei Männern, die sie lieben und die sie liebt, flüchtet sich ins Ausland. Zuerst nach Paris und dann weiter nach Italien.
Die demonstrierenden Studierenden, die Polizisten und das Umfeld in der Trafik mit Lottoannahmestelle sind so realistisch dargestellt, dass ich glaube, die Akteure beobachten zu können.
Die ersten Wohngemeinschaften entstehen und es entstehen neue Lebensformen. Es ist auch die Ära von Fassbinder und von den radikalen politischen Aktivisten. Amrei kehrt als Hostess für die olympischen Spiele zurück, wohnt wieder bei ihrer Großtante und trifft ihre Freunde von damals wieder. Die Geiselnahme im israelischen Teil des Dorfes überschattet die privaten Verwicklungen.
Beeindruckend wird scheinbar beiläufig das politische und auch terroristische Geschehen neben den privaten Verwicklungen und den Krisen von Amrei geschildert.
Das idyllische Bild mit Fahrrädern vor der Isar und dem Rundfunkturm entspricht keineswegs den Ereignissen im Buch. Nur kurze Momente sind im Freundeskreis so idyllisch. Auch die Aufenthalte im Attersee sind gestohlene Glücksmomente zwischen Ausbildung un Arbeit.
Die Ausgewogenheit zwischen Fiktion und historischer Realität ist erstaunlich hoch. Die Protagonisten sind zwar fiktiv, doch vollkommen aus dem Leben gegriffen und den Menschen der damaligen Zeit authentisch nachempfunden.
Erstaunlich ist, dass die Buchhandlung mit ihren Besitzerinnen schon aus einem anderen Buch der Autorin übernommen sind: "Die Buchhandlung in der Amalienstraße".
Mich hat die Geschichte von Amrei interessiert, gefesselt und vollkommen vereinnahmt. Für sie wird im Laufe der ereignisreichen Jahre klar, dass sie sich auf ihre Karriere und auf sich selbst konzentrieren muss. So schön es auch mit den jeweiligen Partnern ist, sie sind nicht wirklich für sie da, sondern verfolgen mehr ihre Lebensziele.
Ehe und Kinder werden deshalb für Amrei unwichtig. Gerade diese Stärke weiterzumachen und sie selbst in diesem Gefühlschaos nicht zu verlieren haben mich bei der Lektüre fasziniert. Dieses Buch enthält ein Zeitbild von 1967,1968 und 1972, zwischen diesen Zeiten springt das Buch hin und her, vor allem, weil sich Amrei aus dem Jahr 1972 an das Jahr 1967/68 erinnert. Für alle Lesebegeisterte, die gerne persönliche Entwicklungsgeschichten, Liebesgeschichten und politisches Zeitgeschehen lesen, ist dieses Buch geeignet.