Spannender Roman zwischen Studentenprotesten und Olympischen Spielen in München

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s.edelfrau Avatar

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Im vergangenen Jahr jährten sich die Olympischen Spiele von München zum 50. Mal. Zu diesem Anlass habe ich mehrere Ausstellungen besucht, eine Führung durch das olympische Dorf mitgemacht und das Buch „München 72 – Ein deutscher Sommer“ gelesen. Letzteres diente – neben vielen anderen Quellen – auch der Autorin Heidi Rehn zur Recherche für ihren neuen Roman „Wir träumten vom Sommer“, der ebenfalls die Olympischen Spiele zum Thema hat.

Hauptfigur des Romans ist das „Landei“ Amrei, das 1967 zum Studieren von der Oberpfalz nach München kommt. Bald freundet sie sich mit einigen Kommilitoninnen an und lernt so auch den Kunststudenten David kennen, in den sie sich Hals über Kopf verliebt. Durch die neuen Freunde gerät Amrei mitten hinein in die Studentenproteste der 1968 und erlebt hautnah, wie schnell ein friedlicher Protest in eine gewalttätige Auseinandersetzung ausufern kann. So geschehen beim Studentenprotest an Ostern 1968, der zwei Todesopfer forderte.

Dabei begegnet Amrei Wastl, einem jungen Polizisten, der ebenfalls Gefühle in ihr weckt. Hin- und hergerissen zwischen den beiden Männern, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber auch mittendrin in vielen politischen Diskussionen, die sich oftmals am Rande der Radikalisierung bewegen, erlebt Amrei eine aufregende Zeit im München der späten 1960er-Jahre – so aufregend, dass sie schließlich ihre Zelte in der bayerischen Landeshauptstadt abbricht und ins Ausland geht.

1972 kehrt sie zurück, als angehende Hostess bei den Olympischen Spielen. Zwangsläufig trifft sie auch ihre Freunde von damals wieder und staunt über die vielen Veränderungen in der Stadt. Als Hostess ist Amrei mittendrin, erlebt die „heiteren Spiele“ hautnah und hat viel Kontakt zu Athleten aus den unterschiedlichsten Ländern. Doch dann kommt der 5. September 1972 und mit ihm der schreckliche Terroranschlag auf die israelische Mannschaft. Danach ist nichts mehr wie zuvor…

Wie so oft bei den Romanen von Heidi Rehn, habe ich auch diesmal bei der Lektüre viel gelernt. Ich selbst bin Jahrgang 1970, die Studentenbewegung der 1968er kenne ich nur aus Büchern, in der Schule war das bei mir kein Thema. Erst als Erwachsene habe ich viel über die Beweggründe der Studenten gelernt. Viele der damaligen Ansichten teile ich nicht nur, sondern finde sie erschreckend aktuell, speziell wenn es um das Thema Aufarbeitung der Nazizeit geht. Die aktuellen Umfragewerte der AfD machen mir nämlich richtig Angst und lassen meine Überzeugung wachsen, dass wir uns als Gesellschaft noch viel stärker gegen dieses gefährliche rechte Gedankengut stellen müssen (schöne Grüße an dieser Stelle an Friedrich Merz!). Ganz und gar nicht gutheißen kann ich aber die Radikalisierung, die sich aus Teilen der Studentenbewegung entwickelt hat und die letztlich zur RAF führte (ein hervorragendes Buch zu diesem Thema ist übrigens „Schlaf der Vernunft“ von Tanja Kinkel).

So fand ich die vielen politischen Diskussionen, die in der Roman-WG geführt wurden, sehr aufschlussreich und es war fast, als säße ich selbst mit am Küchentisch dieser WG. Spannend fand ich aber auch die Schilderungen, wie es in München in den Jahren kurz vor 1972 ausgesehen hat, die ganze Stadt war quasi eine Baustelle und die Münchner mussten viele Einschränkungen in Kauf nehmen, bevor sie schließlich mit dem Bau der neuen U- und S-Bahn belohnt wurden. Und dann sind da natürlich die Schilderungen der Olympischen Spiele, die ja ganz bewusst als „heitere Spiele“ tituliert wurden und sich bis ins letzte Detail von den Olympischen Spielen 1936 in Berlin unterscheiden sollten. Dieses Heitere, das lockere Miteinander, die fröhliche internationale Atmosphäre hat die Autorin sehr gut eingefangen – ebenso wie den tiefen Schock, der München und die ganze Welt nach der furchtbaren Geiselnahme erfasste.

Für mich war besonders bizarr, dass ich gerade diese Szenen rund um den Terroranschlag las, als ich gerade bei meinem Orthopäden im Wartezimmer saß – und dort hingen an den Wänden überall Poster mit den Plakaten der Olympischen Spiele 1972, das war irgendwie ein sehr surreales Erlebnis für mich 😉

Alles in allem hat mich dieser Roman von der ersten Seite an gefesselt, ich habe mit Amrei mitgelitten, mitgefiebert, mitdiskutiert, mitgezweifelt und fand auch das Ende sehr stimmig.

Nettes Detail am Rande: In der Geschichte kommen zwei Personen vor, die mir bereits in Heidi Rehns Roman „Die Buchhandlung in der Amalienstraße“ begegnet sind, nämlich Elly (Davids Großmutter) und Annamirl (Amreis Großtante). So erfährt man ganz nebenbei auch, wie es mit diesen beiden einst jungen Frauen nach dem Ende der Geschichte (der Roman „Die Buchhandlung in der Amalienstraße“ endet 1919) in späteren Jahren weitergegangen ist.