Von winkenden Eichhörnchen und Mr. Burns mit Möpsen

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ismaela Avatar

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Also - ich bin keine Expertin für medizinische Fallgeschichten und Krankheitsverläufe, und habe auch nicht rumrecherchiert, ob man bereits nach einer Woche Koma so lädiert ist, dass man alles (essen, trinken, sich bewegen, die Toilette benutzen etc.) komplett neu lernen muss. Ich hoffe auch nicht, dass ich es je erfahren werde müssen, denn auch wenn die Erzählung von Anika Decker dieses Thema teilweise doch recht humorvoll und (selbst-)ironisch rüberkommt, merkt man schon, dass Autorin und Romanfigur stellenweise miteinander verschwimmen und an diesem Erlebnis mehr als einmal fast (aber nur fast!) zerbrechen.

Als Rahel im Krankenhaus aufwacht, ist ihr nicht bewusst, dass sie eine Woche im Koma lag, die Folge einer Sepsis mit multiplem Organversagen. Sie hat keine klaren Erinnerungen mehr an den Auslöser des Krankenhausaufenthaltes, wird von Albträumen geplagt und ihr Freund benimmt sich ebenfalls komisch. Langsam kommt sie mit Hilfe ihrer Familie wieder auf die Beine und versucht, ihr Leben neu zu ordnen, denn vor allem das fehlende Geld durch ihren Arbeitsausfall macht ihr zu schaffen.

Das Problem bei Drehbuchautorinnen und -autoren, die ein "richtiges" Buch schreiben ist für mich immer der fehlende Tiefgang. Das war auch hier der Fall, auch wenn dadurch die Geschichte nicht langweilig oder unlesbar geworden wäre. Man erfährt viel von Rahel, ihren Eltern, ihrem Bruder und ihrem Freund; auch ihre Lebensumstände werden be- und durchleuchtet. Aber die ganze Zeit während ich das Hörbuch gehört habe, hatte ich den Film dazu vor Augen. Als Geschichte wirkt das Ganze sehr konstruiert und stellenweise betont auf lustig gemacht. Auch verlaufen manche angedeuteten wirklich intensiven Sachen zum Schluss ein bisschen zu sehr ins Bedeutungslose und Gewöhnliche. Zum Beispiel die ständigen und sehr schlimmen Albträume, die immer eine bestimmte Situation zeigen. Oder das mehr als seltsame Verhalten ihres Freundes, bis hin zum eigentlichen Auslöser ihres Krankenhausaufenthaltes mit anschließendem Koma.

Dass ich die Geschichte trotzdem sehr mochte, liegt an einzelnen wirklich berührenden Szenen, etwa, wenn Rahel ganz am Anfang, nachdem sie aufgewacht ist, mit schwerer Zunge davon spricht, nach Hause zu wollen, und um Hilfe beim Weihnachtsgeschenkeverpacken zu bitten (obwohl zu diesem Zeitpunkt Weihnachten schon vorbei ist). Auch die schiere Verzweiflung, wenn selbst einfachste Dinge nicht funktionieren (die Strecke zwischen Zimmer und Aufzug ohne Schwächeanfall zu meistern, die Rechnungen der privaten Krankenkasse, die Nebenwirkungen der Medikamente) hat mich sehr berührt. Vielleicht auch deshalb weil Katja Riemann den Text so gut liest. Anderes betont sie aber genau anders, als ich es gelesen hätte, was mich etwas irritiert hat.

Insgesamt ist "Wir von der anderen Seite" eine zwar etwas zu blankpolierte Geschichte, die aber stellenweise wirklich schöne Szenen hat. Bestimmt lässt der Film dazu nicht mehr lange auf sich warten.