Tolles Setting, aber kaum Spannung

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
jiskett Avatar

Von

Auf "Wir waren hier" bin ich zuerst durch das wunderschöne Cover aufmerksam geworden, aber auch die Inhaltsangabe hat meine Neugierde geweckt. Dystopien sind nicht mein bevorzugtes Genre, aber hin und wieder lese ich sie gerne. Da diese hier in Deutschland spielt - in einer ziemlich nahen Zukunft - war ich besonders interessiert und gespannt auf die Geschichte.

"Wir waren hier" ist dreigeteilt. Der erste Teil besteht aus Einträgen von Annas (theoretisch illegalem) Blog, der zweite ist eine normale Erzählung in mehreren Kapiteln und der dritte Teil besteht einfach nur aus einer Seite, die ich persönlich überflüssig fand.
Gerade das erste Drittel hat mir sehr gut gefallen. Durch die Blogeinträge haben wir einiges über Annas Leben und die schrecklichen Zustände, die in Berlin herrschen, erfahren, wodurch ich schnell ein Gefühl für diese vertraute und doch so fremde Welt bekommen habe. Die Rede ist von Essensrationen, Soldaten, die alles kontrollieren, einer Web-Polizei, Aufständen, Krankheit, Hunger und Tod. Das Bild, das die Autorin hier zeichnet, ist ziemlich düster und beklemmend und es ist ihr gut gelungen, Annas Situation realistisch darzustellen.

Anna war für mich eine überzeugende Protagonistin. Sie scheint ein recht typischer Teenager zu sein, ist aber von dem Leben in einem zerstörten Zuhause abgehärtet und auch irgendwie kalt. Dadurch, dass wir am Anfang ihren Blog lesen und die Ereignisse später aus der Ich-Perspektive erzählt werden, lernen wir sie relativ gut kennen und es war interessant zu lesen, wie sie immer weiterkämpft und sich nicht unterkriegen lässt, egal was passiert. Allerdings muss ich sagen, dass ich nicht mit ihr mitfühlen konnte, was vermutlich daran liegt, dass alles ziemlich emotionslos geschildert ist. Selbst für Anna brenzlige Situationen konnten mich deshalb nicht fesseln oder berühren.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Rademacher ein wenig schwammig bleibt, wenn es um die geschichtlichen Hintergründe geht, die zur Situation in ihrem Buch geführt haben. Sie erwähnt Ressourcen- und Bürgerkriege, geht aber nicht wirklich auf die genauen Umstände ein, da ihre Ich-Erzählerin vollkommen ahnungslos ist. Es wird angedeutet, dass die aktuelle Lage (2016) eine nicht unwichtige Rolle spielt, aber ich hätte gerne mehr gewusst.
Davon abgesehen hat mir "Wir waren hier" aber gut gefallen. Rademacher hat ihre dystopische Welt gut aufgebaut und auch überzeugend düster dargestellt, dazu kommt eine recht sympathische Protagonistin. Leider hatte ich aufgrund der Erzählart Probleme, mit den Figuren mitzufühlen, aber dennoch war ich durchaus am Ausgang der Geschichte interessiert.
3,5/5 Sternen