Wir waren hier

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regenprinz Avatar

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Die Leseprobe hatte mir damals gut gefallen und so war ich sehr gespannt auf diese Jugend-Dystopie. Der Roman beginnt sehr eindrücklich mit Annas Schilderungen und kurzen Blogeinträgen, die einen guten Einblick in die Situation in Berlin im Jahr 2039/ 2040 geben. Ein düsteres Szenario, das anschaulich beschrieben wird und vor allem deshalb so bedrohlich wirkt, weil es so realitätsnah erscheint. Ich hatte beim Lesen oft das Gefühl, dass sehr vieles gar nicht so weit weg ist von dem, was ich täglich in den Nachrichten sehe (Stichwort Ressourcenkriege beispielsweise). Die Annäherung an Ben, der Annas Blogeinträge erwidert, fand ich auch durchaus spannend geschildert und war neugierig, was aus den beiden wird.
Tja, und dann wartete der Roman völlig unerwartet mit einem zweiten Teil auf, der mit dem Anfang irgendwie kaum kompatibel war, sondern in meinen Augen plötzlich eine komplett andere Story weiterspann. Beim Lesen habe ich es als großen Bruch empfunden, dass nun ausschließlich Annas Alltag in diesem Heim Thema war. Überhaupt blieb für mich undurchsichtig, was das alles sollte - der Drill, die Unterdrückung - wer steckt dahinter, wer verfolgt welche Ziele damit, etc. Hier blieb für mich zu vieles im Unklaren. Möglich, dass die Zielgruppe des Buches da anders reagiert als ich. Möglich auch, dass sie die Anspielungen auf Soylent Green nicht mit einem Stirnrunzeln quittiert, weil sie den Film nicht kennt.
Mir war "Wir waren hier" im Mittelteil jedenfalls viel zu vage und unausgegoren. Vielleicht hatte ich auch einfach zu hohe Erwartungen an das Buch - im Bereich der Jugenddystopien gibt es welche, die für mich Maßstäbe gesetzt haben, gerade auch, wenn es um zukünftige Gesellschaftssysteme, Krieg und Rebellentum geht. Schade war eben, dass ich damit nicht gerechnet hatte, denn den Anfang des Romans fand ich sehr vielversprechend und manche Äußerungen (wie z.B. "Für hätten ist es zu spät") blieben mir gut im Gedächtnis.
Ich mochte auch größtenteils die Figuren - Anna und Ben, Santje, Fatma, später auch Zalda aus dem Heim, Jodok aus dem Wald. Die Szenen lasen sich oft auch gut, ich habe mich nicht gelangweilt, wenn die Figuren interagierten. Aber im Gegensatz zur Mikro-Ebene funktionierte für mich die Makro-Ebene der Geschichte leider gar nicht, der erklärende Hintergrund blieb viel zu blass und verwaschen. Anfangs klingt es nach größeren Ausmaßen, weltweitem Verteilungskrieg, globale Maßstäbe also für den Handlungsumfang - später konzentriert es sich dann auf ein Mädchenheim und eine seltsame Fabrik, Bens familiäre Verstrickung und eine Handvoll Rebellen, unter denen sich ein Verrat anbahnt. Sorry, nein. Das war für mich alles nicht stimmig. Auch Annas Verhalten fand ich nicht immer nachvollziehbar oder glaubhaft, sie wirkte auf mich manchmal zu nüchtern, dann wieder viel zu naiv. Und das letzte "Happy End"-Kapitel ließ mich auch bloß den Kopf schütteln. Mehr als 3 von 5 Sternchen kann ich daher nicht vergeben.