Sag ihnen nichts - das ist die einzige Regel

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jenvo82 Avatar

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Hannie Schaft hat gerade mit ihrem Jurastudium begonnen und erste Freundschaften auf der Universität geschlossen, als die erstarkende Macht der Nationalsozialisten ihr einen Strich durch die Rechnung macht. Wer weiter studieren möchte, muss sich der deutschen Besatzungsmacht anschließen und einen Eid auf Hitlertreue leisten. Doch nichts liegt der jungen Frau ferner, die schon geraume Zeit argwöhnisch die politische Entwicklung in ihrer niederländischen Heimat Haarlem verfolgt. Ihre beiden besten Freundinnen sind Jüdinnen und trauen sich schon nicht mehr auf die Straße, Ausgrenzung und Schikane finden einen festen Platz im Alltag der Menschen.

Als sie von einer Vertrauten einen Kontakt zur aktiv agierenden Widerstandsbewegung RVV bekommt, beschließt sie fortan für diese tätig zu werden. Auch wenn das bedeutet, dass sie möglichst unsichtbar bleiben und im Untergrund leben muss und ihre Lieben zu deren Schutz nicht mehr sehen darf. Doch das Risiko geht sie ein, denn dadurch hat sie wieder eine sinnvolle Aufgabe und kann Gutes bewirken. Ihr junger Mitstreiter Jan Bohnekamp bringt ihr dort nicht nur den Umgang mit einer tödlichen Waffe bei, sondern erobert auch ihr Herz im Sturm. Und so nutzen die beiden das kurze Zeitfenster zwischen totaler Zerstörung und fremder Befreiung, um ihr Gewissen und ihre Menschlichkeit unter Beweis zu stellen.

Meinung

Erwartet habe ich einen historischen Roman über die Verbrechen der Nationalsozialisten in dem von ihnen besetzen Gebiet, ein generell interessantes Setting nach meinem Lesegeschmack, doch dieses Buch ist ein wirklich gelungener Mix, der insgesamt einen anderen Anspruch stellt und mich positiv überraschen konnte. Die Historie bildet hier nur den Background für das Leben und Wirken einer überzeugten Kämpferin. Vieles beruht auf wahren Begebenheiten, die die amerikanische Autorin in einem umfassenden Nachwort detailliert schildert. Ein anderer Teil ist Fiktion, so dass Überzeugungen, Meinungen und die zwischenmenschliche Ebene sehr viel direkter wirken und weniger biografische, als generalistische Aussagen treffen.

Hier hat sowohl eine dramatische Liebesgeschichte, als auch der Heldentod eines fiktiven Widerstandskämpfers Platz gefunden. Es geht um Mut, Treue, Hoffnung und Überlebenswillen in einer unmenschlichen Zeit, wo sich jeder selbst am nächsten stand. Die gewählte Erzählperspektive in der "Ich-Form" bringt hier gleichermaßen Nähe wie Abstand, da Hannie selbst eine gefasste, abgeklärte Persönlichkeit gewesen sein könnte. Ihr Charakter lebt hier regelrecht auf, als Leser hat man das Gefühl, Hannie sehr gut zu kennen. Umfassend herausgearbeitet wurde auch der Begriff der Menschlichkeit und Nächstenliebe in ganz spezifischen Situationen und anhand konkreter Beispiele oder auch das gänzliche Fehlen davon - je nachdem was die Situation gerade hergab.

Fazit

Ich vergebe 5 Lesesterne für diesen ansprechenden Roman aus einer ungewöhnlichen Sichtweise heraus, der viele interessante Elemente der Spionage beinhaltet und dem Begriff "Untergrund" eine andere Dimension verleiht, weil er den Leser direkt mit hinein nimmt in ein Leben jenseits der gesellschaftlichen Akzeptanz der damaligen Zeit. Man sollte weder eine lupenreine Biografie noch einen Historienschmöker erwarten, dann kann man mit diesem Roman viele tolle Lesestunden erleben. Mich konnte die Geschichte unterhalten und begeistern - sie ist trotz der bitteren Hintergründe sehr positiv und macht all jenen Mut, die auf scheinbar verlorenem Posten kämpfen. Ein interessantes Stück Zeit- und Lebensgeschichte wurde hier spannungstechnisch aufbereitet - eine Verfilmung könnte ich mir direkt vorstellen.