Toll!

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aniya Avatar

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Ich freue mich ja über jedes bisschen Fantasy, das von gängigen Klischees abweicht und stattdessen frisch und kreativ auf Neues setzt.
Denn wenn ich eins nicht mehr lesen kann, dann ist das die Geschichte der immer gleichen Welt mit immer gleichen Strukturen und Figuren. Speziell in der High-Fantasy, Tolkien lässt grüßen.
Das Genre bietet eigentlich die Möglichkeit der Grenzenlosigkeit, in der Fantasy kann man praktisch alles machen. Darum ärgert mich dieses enge Korsett, das viele Geschichten zusammenschnürt, so sehr.
In den 80ern gab es schon einige Autorinnen, die frischen Wind ins Genre brachten (Ursula K. Le Guin und Lynn Flewelling z.B.) und heutzutage gibt es auch wieder einen kleinen Ruck.

Witchmark ist eine Story, die ich so noch nie gelesen habe. Sie scheint in den 20ern zu spielen - allerdings in einer Alternativwelt, die einige Unterschiede zu unserer aufweist.
Miles Singer ist Arzt und versucht, sich bedeckt zu halten, denn er ist ein "Gesternter", der nicht gebunden werden und als Sekundär leben will.
Genau das passiert nämlich mit den meisten seiner Art, sie werden von Sturmsängern gebunden, die sich ihrer Magie bedienen.
Miles möchte frei sein und das war etwas, das mich an diesem Buch sehr berührt hat. Seine Angst ging mir nahe, seine Verzweiflung war spürbar, die Beklemmung nachvollziehbar.
Als vor seinen Augen ein anderer Hexer stirbt, ihm sein Zeichen überträgt und behauptet, vergiftet worden zu sein, versucht Miles den Mord gemeinsam mit dem geheimnisvollen und schönen Amaranthine Tristan aufzuklären - und stößt dabei auf weit mehr, als er hätte ahnen können.

Witchmark ist eine interessante Mischung aus Fantasy, etwas Steampunk, 20er-Jahre-Krimi und Tim Burton Atmosphäre, mit spannenden Momenten, solidem World-Building und sympathischen Charakteren.

Miles gefiel mir, sein Freiheitsdrang ist nachvollziehbar, seine Unsicherheiten sind es auch. Er weiß, was er will, ist in bestimmten Situationen jedoch schüchtern und hat kein Problem damit, zu seiner Angst zu stehen.
Sein größter Wunsch ist (neben seiner Freiheit) das Heilen und er lebt so, dass er diesem gerecht werden kann.
Der geheimnisvolle Tristan ist freundlich und verständnisvoll. Die zarte Liebe zwischen den beiden Männern ist eine weitere willkommene Abwechslung im Genre.
Ich habe es ja schon oft gesagt, aber ich tue es gerne wieder: ich freue mich, dass immer mehr Geschichten mit so einer selbstverständlichen Darstellung von LGBT+ Charakteren den Einzug auf den deutschen Buchmarkt finden.
Deutschsprachige Autorinnen und Autoren hängen da leider noch sehr hinterher und abseits von Nischen mit dicken Warnlabels findet so etwas hier nicht statt.
(Übrigens: im zweiten Band, der leider auf englisch erst 2020 erscheint, wird es um Miles' Schwester gehen und ein f/f Pairing geben, ich freue mich so!)

Die Art und Weise, wie Magie hier beschrieben und angewandt wird, erinnerte mich manchmal ein bisschen an die Bücher von Diana Wynne Jones, die zu meinen Lieblingsautorinnen gehört... darum hat mir auch das sehr gefallen.
Über allem hängt in dieser Story der Krieg. Er verändert die Menschen und die Soldaten, die zurückkehren, haben eine seltsame dunkelrote Wolke in ihrem Kopf, die sie von Gewalt fantasieren lässt.
Ein weiteres Geheimnis, dem Miles und Tristan auf der Spur sind.

Die Übersetzung ist im Schreibstil etwas holprig. Da ich die englische Version ebenfalls gelesen habe, habe ich sozusagen den direkten Vergleich.
Außerdem gab es da wohl ein paar Schwierigkeiten, zum einen mit der typischen Duzen-oder-Siezen-Frage (wurde hier gut gelöst) und zum anderen mit dem englischen "they", das ja auch benutzt wird, wenn man nicht weiß, ob es sich um eine männliche oder weibliche Person handelt. Im Deutschen gibt es das nicht und hier wurde einfach die Mehrzahl übersetzt, was etwas verwirrend ist.
Trotzdem tut das der spannenden Story keinen großen Abbruch und ich bin nach wie vor begeistert davon!

Übrigens ist das Cover nicht nur vom Motiv her wunderschön, sondern Teilelemente leuchten auch ganz dezent weiß im Dunkeln. So wie die Sterne, die man sich früher über's Bett geklebt hat. Ein sehr schönes Detail, wie ich finde.

Zum Abschluss der Rezi lasse ich nun, als Radlerin, mal noch mein Lieblingszitat da:

"Wirklich erfrischend", sagte er. "Ein Gewinn, das Fahrrad."

Wahrlich! :)