schön & klug

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hybris Avatar

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"Wo bist du, Motek" hat meine Leseerwartung nicht nur erfüllt, sondern noch übertroffen. Der Roman ist geprägt von Hintersinn, Klugheit und feinem Witz.
Ausserden liest es sich zugleich humorvoll und traurig.

Der Klappentext wird dem Buch indes nicht gerecht, denn es geht mitnichten um tumbe Hipness:


"Ein rasantes, witziges, nachdenkliches Buch, halb Roman, halb Reportage, dessen polyglotter Autor als Prototyp des Neu-Berliners durchgehen würde, wenn er nicht vor allem das wäre: ein Israeli auf der Suche nach seinen deutschen Wurzeln. Erst als er seinen Job bei Channel 10 los ist, kann er sie aufmachen, die große schwarze Kiste, die mitten in seiner Berliner Wohnung steht: Ilan Goren, junger Fernsehreporter aus Tel Aviv, war in die zweitkultigste Stadt der Welt gekommen (die kultigste ist seine eigene), um seiner Familie nachzuspüren. Nicht umsonst hatte ihn seine Mutter mit Ritter Sport und Hoppe, hoppe Reiter aufgezogen. Aber diese Kiste nun, die Notizbücher, Fotos, Briefe und ziemlich scheußlichen Schmuck enthält, gibt nur neue Rätsel auf. Während Ilan als Reporter und Ahnenforscher durch Berlin streift, stößt er auf ein reiches Panoptikum an Leuten und Geschichten. Er freundet sich mit dem Journalisten Omer an, der darauf spezialisiert ist, geschmackvolle Holocaust-Witze zu reißen. Beide wollen sie herausfinden, worin für sie diese morbide Deutschland-Faszination besteht. Es können doch nicht nur die zusammengesetzten Hauptwörter sein. Ein intelligentes Buch für alle Ausländer und Schwaben in Berlin."

Nach dem Tod seiner Mutter ist der Protagonist quasi in doppelter Mission unterwegs - zum einen will er die eigenen, deutschen Wurzeln erkunden, zum anderen den Daheimgebliebenen das hippe Berlin erklären. Sehr anrührend sind die persönlichen Passagen, etwa als Ilan um seine tote Mutter weint und sich an deren Ritter-Sport-Schokoladen-Obsession erinnert. Skurril sind seine Eindrücke in Deutschland - es gibt Nacktjogger und FKK wird mit einem nahezu heiligen Ernst betrieben, den es so wohl nur in Deutschland gibt.


Aus dem Spannungsfeld von Heute und Gestern speist sich die grosse Stärke des Buches.
Hintersinnig, witzig und sensibel wird auch die Familiengeschichte beschrieben - der Ur-Grossvater Juda/Joachim emigrierte einst nach Berlin, um Elektrotechnik zu studieren (zuhause gab es eine Druckerei namens "die 3 Teilungen", herrlich!), die Ur-Grossmutter entstammte altem ostpreussischen Adel.

Ilan stösst darauf, dass manche Dinge anders erinnert wurden, als sie eigentlich gewesen waren...

Das Buch zeigt auf, dass jüdische Geschichte auch dt. Geschichte war und ist, und dass deutsche Geschichte auch jüdische Geschichte war.
Dabei ist die Erzählung auch sprachlich ein Genuss. Ich mochte "Wo bist du, Motek" gern, auch wenn sich die Erzählung gegen Ende etwas in die Länge zieht.
Den Roman kann ich zur Lektüre nur wärmstens empfehlen!