Zu konstruiert

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waterlilly Avatar

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Den Titel von Tanja Janz neuem Roman „Wo der Seewind flüstert“ finde ich sehr poetisch und gut gelungen. Ich mag es, wenn ich in Büchern an Orte zurückreisen kann, an denen ich selbst schon Urlaub gemacht habe.
Der Roman spielt abwechselnd in Sankt Peter und in Gelsenkirchen. Die Atmosphäre der Geschichte ist sehr schnell auf mich übergesprungen und ich bekam große Sehnsucht nach Meer und Sommer. Ich konnte mich in die beschriebenen Schauplätze gut eindenken und die ersten Kapitel gefielen mir wirklich gut.

Die 17-jährige Sabine hat gerade die Haushaltsschule abgeschlossen und ihren ersten Arbeitsvertrag unterschrieben. Als sie von ihren Eltern nach Sankt Peter geschickt wird, um ihrer Tante in der Frühstückspension zu helfen, ist sie erst wenig begeistert. Doch dann verliebt sie sich in die Nordsee, die Kleinstadt und in den Musiker Tom.

Wirklich interessant fand ich, mit welchen einfachen Schlafgelegenheiten und Frühstücksangeboten die Urlauber von damals zufrieden waren.
Generell kommt der Zeitgeist Ende der 50er Jahre gut rüber. Frauen haben sich so bald wie möglich einen Ehemann zu suchen und so lange man zu Hause wohnt, bestimmen die Eltern, wo es langgeht.
Relativ schnell ist mir aufgefallen, dass die Dialoge recht hölzern und unnatürlich klingen, was ich zunächst darauf geschoben habe, dass die Leute damals einfach anders gesprochen haben, als heute.
Wir begleiten die Hauptfigur Sabine ungefähr ein Jahr auf ihrem Lebensweg. Leider entwickelt sich ihr Charakter in dieser Zeit sehr zum Negativen. Sie hat eine unglaublich feige Art, wenn es um den Umgang mit Männern geht. Ihren Schwarm Tom, den sie ach so sehr liebt, lässt sie ohne ein Wort sitzen und Bertis Heiratsantrag lässt sie monatelang unbeantwortet und hält ihn hin, obwohl für sie von Anfang an klar ist, dass er keine Option für sie ist.
Ich mochte nicht, wie sie die Gefühle von anderen Menschen mit Füßen tritt und wie sich alles immer um sie dreht. Zum Beispiel kehrt sie nach Sankt Peter zurück und meldet sich eine Woche nicht bei ihrer Tante. Auch ihre Eltern und ihre Freundin Renate lässt sie gerne mal links liegen, wenn ihr andere Sachen wichtiger sind.
Da ihre Mitmenschen immer schnell darüber hinweg sehen, gibt es natürlich wenig Anlass für Sabine, ihr Verhalten zu überdenken.

Nach dem mir der Roman am Anfang ziemlich gut gefallen hat und er allein vom Klappentext her, genau mein Ding ist, tut es mir wirklich leid zu berichten, dass ich mit jedem Kapitel weniger Freude an der Geschichte hatte.
Es lag nicht nur an Sabine, ich fand die Charaktere insgesamt nicht besonders ansprechend. Die Aufdringlichkeit, mit der die Eltern ihre noch nicht einmal volljährige Tochter verheiraten wollten, war schon sehr befremdlich.
Auch mit der Handlung geht es stetig bergab und es wird immer unrealistischer.
Um nur ein Beispiel zu nennen, es gibt ein Ehepaar, dass seit Jahrzehnten ein Cafè betreibt. Als die minderjährige Sabine mit Verbesserungsvorschlägen kommt, reagieren Sie mit „Oh toll, an Modernisierung haben wir ja noch nie gedacht, gerne machen wir alles, was du junges Ding ohne Lebenserfahrung vorschlägst“.
Ich fand es einfach übertrieben zumal das Buch ja eigentlich immer wieder betont, dass damals die Meinung und die Wünsche der Jugend eben nichts galten und man sich anpassen musste.
Es würde zu sehr spoilern, hier weiter in die Tiefe zu gehen, aber mir war die Handlung leider zu konstruiert. Teil 2 und Teil 3 der Sankt Peter Ording Saga werde ich tendenziell eher nicht mehr lesen.