Wolf im Schafspelz

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Wenige Wochen vor Weihnachten, im beschaulichen Potsdam wird an der Havel der Abiturient Noyan brutal zusammen geschlagen. Ein Augenzeuge geht dazwischen und beschreibt einen Täter, der aus dem rechtsradikalen Milieu zu kommen scheint. Das junge Opfer ist türkischer Herkunft und investierte seine gesamte Energie in ein Schulprojekt gegen rechte Gewalt – mit großem Erfolg. In ganz Potsdam lockert der bunte Button dieser Initiative die tristen Wintermäntel vieler Schüler auf. Einige Demos von rechtsgerichteten Gruppen wurden durch den Einsatz der jungen Leute in den vergangenen Monaten erfolgreich verhindert. Kommissar Sigi Kamm kennt Noyan allerdings aus einem ganz anderen Zusammenhang. Drogen und Gewalt haben vor über einem Jahr Noyans Leben bestimmt, erst die Therapie in einer psychatrischen Klinik in Wannsee und die kompromisslose Einstellung der Therapeutin Alicia Behrens haben den jungen Türken wieder auf den richtigen Weg gebracht, dabei ist diese allerdings dem Hauptkommissar mächtig ins Gehege gekommen und nun zeigt der letzte Anruf auf Noyans Handy ausgerechnet ihre Durchwahl in der Klinik an. Sigi Kamm und Alicia Behrens finden sich plötzlich durch die Launen ihrer Chefs als Ermittlerteam wieder. Wenig begeistert, aber durch jeweils eigene starke Motive angetrieben, versuchen sie zusammen den Überfall aufzuklären.
Dinah Marte Golch widmet sich in ihrem ersten Roman einer Problematik, die viel Fingerspitzengefühl erfordert und in der das Stereotype, Klischeehafte und Polemische immer nur eine Schreibfederspitze entfernt lauert. Brandenburg trägt schwer an seinem Etikett „ausländerfeindliches Bundesland“, doch nicht jede Straftat im Zusammenhang mit Übergriffen auf Mitmenschen mit Migrationshintergrund sind per se rassistisch motiviert. Diesem Umstand zollt die Autorin Respekt und legt in ihrem Debüt einen klug durchdachten Kriminalroman vor, der die Klischees gegeneinander ausspielt und das Verhalten ihrer Figuren in vielen Fällen als reine Fassaden entlarvt. Die Protagonisten Sigi Kamm und Alicia Behrens sind sehr vielschichtig und ehrlich gestaltet, sie versuchen zu ihren Schwächen zu stehen und lassen sich dennoch ab und an in die Irre führen, auch weil sie die Menschen so wenig wie möglich vorzuverurteilen suchen. Kommissar und Therapeutin bilden ein gutes Gegensatzpaar, gerade weil beide nicht aus ihrer Haut können und den Prinzipien ihres Berufsbildes treu bleiben.
Obwohl die Autorin bisher sehr erfolgreich vor allem Drehbücher für Tatort & Co schrieb, geht dem Buch gänzlich dieses überhandnehmende filmische Erzählen ab und das ist als großes Lob gemeint. Dinah Marte Golch setzt auf gute Dialoge, ausdrucksstarke innere Monologe und komplexe Beschreibungen. Sie fühlt sich in ihre Figuren ein, passt sich im Erzählen deren Perspektiven an und erzeugt eine Spannung, die sich langsam aufbaut und bis zur letzten Seite hält. So bleibt mir als Potsdamerin einzig als winzigen Kritikpunkt anzumerken, dass zwar viele lokale Ortsbeschreibungen zutreffen, aber doch auch einige markante Plätze zugunsten der Handlung wenig wirklichkeitsnah ineinander übergehen und Potsdam dem großstädtischen Berliner noch winziger als ohnehin erscheinen muss.