Ausgesprochen ungemütlich

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tochteralice Avatar

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Nein, in Köln war es während des Zweiten Weltkriegs überhaupt nicht gemütlich! Es war die Stadt in Deutschland, die am häufigsten Bombenangriffe erleiden musste, nämlich insgesamt 262 Mal. Wenn man sich das vergegenwärtigt, wundert man sich nicht mehr, dass fast jede Woche irgendwo auf dem Gelände der Stadt im Zuge von Bauarbeiten eine Fliegerbombe gefunden wird und entschärft werden muss.

1942: Wir begegnen Lene, die in Nippes lebt, einem Stadtviertel im Norden Kölns, nicht allzu weit entfernt von der Innenstadt. Sie ist sechzehn und die Zweitälteste von insgesamt fünf Geschwistern. Ihr ältester Bruder Franz ist an der Ostfront, in Russland, ihr jüngerer Bruder ist vierzehn und ein begeisterter Hitlerjunge. Dann gibt es noch zwei ganz kleine Mädchen. Der Vater wird vermisst, die Mutter hat bereits einen neuen Partner.

Lene macht eine Ausbildung zur Friseuse und schreibt Briefe - an ihre Freundin Rosi, die in Detmold in den Arbeitsdienst verschickt wurde, an den Bruder an der Front und irgendwann auch an Erich, den sie nach langen Jahren wiedergetroffen hat und jetzt ziemlich toll findet. Und sie erhält Antworten.

Mit Lene erleben wir den Alltag in Köln, der alles andere als erbaulich ist: ständige Bombenangriffe, die vielen Verluste sind fast schon an der Tagesordnung. Immer mehr Juden müssen ihre Wohnungen verlassen und immer mehr von ihnen sieht man in Züge steigen.

Und immer mehr zweifeln am Nationalsozialismus, allen voran Erich. Aber auch Lene ist nicht überzeugt davon. Aber offen darüber reden kann sie nicht.

Es werden viele Themen angesprochen in dem Roman wie Euthanasie, politische Häftlinge, ältere Menschen in Kriegszeiten, Mangelernährung und vieles mehr. Aber es gab Gegenwehr. Auch unter jungen Leuten. In Köln nannten sie sich Edelweißpiraten und sie waren sehr mutig. Und manche erhalten die Quittung dafür. Auch Lene wird zu einer von ihnen.

Der Leser erfährt, wie es den Menschen so ergeht und sieht, dass es keinen Alltag ohne Krieg gibt. Der Krieg hat wirklich alle Menschen in Deutschland in seinem Griff und man kann ihm nicht entrinnen.

Was aber nicht heißt, dass es überhaupt nichts Schönes gibt, allerdings relativieren sich die Dinge. Es gibt Freundschaft, Liebe, überraschende kleine und große Gesten von Mitmenschen. Ja, die kann man auch in Zeiten erleben, die dunkler nicht sein können.

Frank M. Reifenberg schildert eindringlich und ergreifend das Leben der Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg. Wobei diese viel näher an der Armee war, als man es sich heute vorstellen kann: durch die Soldaten, die es fast in jeder Familie gab, aber auch durch die feindlichen Angriffe.

Ein sehr, sehr trauriges, aber sehr wichtiges Buch, in dem die Stimmung, das Atmosphärische eine große Rolle spielt. Starker Tobak, aber ich bin froh, dass ich es lesen durfte. Als Kölnerin habe ich einen unglaublich tiefen Einblick in die jüngere Vergangenheit meiner Stadt erhalten und ich wünsche einem jeden, dass es auch zu seinem Herkunftsort einen solch großartigen Roman über die dunklen Zeiten des Zweiten Weltkriegs gibt. Es war ein Riesengewinn und ein großes Geschenk, ihn zu lesen!