Gelungenes Erzähl-Experiment!

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Helene Meister macht eine Ausbildung zur Friseurin. Es ist 1942. Köln.

Das Buch nimmt den Leser mit in ihr Leben, das durch die andauernden Bombardierungen zunehmend turbulent wird. Lene, wie sie sich selbst nennt, steht im Briefwechsel mit ihrem älteren Bruder Franz an der Ostfront, mit Erich, einem gleichaltrigen Freund und ihrer beste Freundin und Vertrauten Rosi, die mit ihrer Familie aus Köln geflüchtet ist.
Zu Lenes Familie gehören noch ihre verwitwete Mutter nebst einem systemtreuen Freund, Onkel Hugo, zwei kleine Geschwister und ihr Bruder Kalli, von dem sie nur ein paar Briefe erhält.

Der Leser begleitet die Protagonisten über 9 Monate, von März bis Dezember 1942.

Gut herausgearbeitet ist die Stimmung der jungen Menschen, ihr Sehnen nach Normalität, nach Frieden und Unbeschwertheit. Die Personenbeschreibung zu Beginn finde ich stilistisch besonders gelungen, ganz nebenbei sind die Figuren rasch charakterisiert. Lene muss aufgrund der Umstände schnell sehr viel Verantwortung übernehmen. Ihre Bekanntschaft mit Erich, einem Edelweißpiraten, aber wird ihr Leben nachhaltig beeinflussen.

Für den Inhalt die Erzählform Briefroman zu wählen, ist mutig. Ein Vorteil ist klar: Gedanken sind unmittelbar darstellbar, die innere Zerrissenheit zwischen der aktuellen Situation, Angst und Entbehrung auf der einen Seite, der Hoffnung auf den "Endsieg" und ein normales Leben auf der andern Seite sind gut greifbar und bedrückend dargestellt.
Leider bleiben dadurch, dass Briefwechsel immer der Gefahr von Spitzeln ausgesetzt waren und real überwacht wurden, auch Informationen zu Geschehnissen 'auf der Strecke'. So hätte ich gern mehr über die Aktivitäten der Edelweißpiraten, so sie bekannt sind, erfahren. Die Gefahr, in der sich diese mutigen Menschen befanden, wird gut dargestellt, bleibt aber aufgrund der Briefform bisweilen abstrakt.

In der Mitte des Buches empfand ich auch einige Erzählungen und Details als langwierig. Sie lassen zwar den "Brief" als authentisch erscheinen, bringen aber die eigentliche Handlung nicht voran.

Insgesamt dennoch ein gelungenes Buch, dessen Anhang bei der Einordnung hilft und das durch seine Authentizität die Schrecken dieser Zeit gut transportiert.
Ich kann mir das Buch gut als Ausgangspunkt im Schulunterricht vorstellen, denn es regt an, weiter zu forschen, es macht neugierig auf die Hintergründe. Deswegen auch trotz der Kritik eine Leseempfehlung.