Verstrickungen und Abgründe

Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern Leerer Stern Leerer Stern
gisel Avatar

Von

 

Ein Mord, gleich auf den ersten Seiten der Erzählung. Ein Junggesellenabschied, der stattfindet, während die Braut bereits ermordet ist. Die strahlende Existenz eines jungen Anwalts, Spross einer der angesagten Familie eines Ortes im Nordosten Italiens, der kurz davor steht, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und in dessen Anwaltskanzlei einzusteigen, jäh zu Ende gesetzt durch den Verdacht, selbst die Braut ermordet zu haben. -

Der Einstieg in die Geschichte ist rasant. Und mit Francesco Visentin fiebert der Leser mit, wer Giovanna war und warum sie umgebracht wurde. Der Reigen der Verdächtigen wird durch immer wieder neue Entdeckungen und Verstrickungen in Bewegung gebracht.

 

Blühende Zitronen und Sonne, das Klischee vom heiteren Italien - wer das erwartet, ist hier falsch. Passender ist der italienische Titel „Nordest“, der bereits darauf hinweist, wo die Geschichte spielt und wer dabei die Hauptrollen innehat: die wenigen Industriellenclans, die hier die Kleinstädte dominieren und inzwischen ihre Fäden über Italien hinaus spinnen. Erpressung, Ökokriminalität und, wenn es sein muss, auch Mord sind dabei inbegriffen.

 

Auch die italienische Mamma aus der Olivenöl- und Spaghettiwerbung sucht man hier vergebens. Sollten die Mütter dieser Erzählung eine solche Rolle angestrebt haben, wurden sie daran gehindert – durch den eigenen Ehrgeiz, durch Tod oder sonstige Schicksalsschläge. Überhaupt entsprechen die Familien nicht dem Bild der heilen Familie. Die Abgründe im Familienleben sind tief, wie es bereits der Klappentext verspricht. Wie tief, das lässt sich bereits während der Lektüre erahnen, erschließt sich in seiner vollen Bedeutung dann am Ende des Buches, das mit vielen überraschenden Wendungen aufwartet.

 

Was mich etwas gestört hat, ist der Wechsel zwischen der Ich-Erzählung des Protagonisten, und einem allwissenden Erzähler. Möglicherweise soll dieses Stilmittel einen besseren Einblick in die Veränderung Francescos geben. Mich aber hat der Wechsel der Perspektiven jedes Mal kurz aus der Erzählung herausgerissen.

 

Alles in allem ein Buch, das man nicht aus der Hand legen will, bis man es durchgelesen hat. Sowohl als leichte Urlaubslektüre wie auch zum Nachdenken geeignet über die darin liegende Gesellschaftskritik.