Anerkennung einer Liebe

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Irma Weckmüller, Verkäuferin aus kleinen Verhältnissen, findet in dem jüdischen Arzt Erich Bragenheim Ende der 20er Jahre die Liebe ihres Lebens. Trotz aller Repressalien hält Irma an ihrer Liebe zu Erich fest. Als sie nach dem Krieg von seinem Tod im KZ Auschwitz erfährt, setzt sie gegen alle Widerstände die Anerkennung ihrer 1935 nicht mehr stattgefundenen Eheschließung mit ihrem getöteten Geliebten durch. Der Roman basiert auf wahren Begebenheiten.

Anke Gebert imaginiert mitreißend, authentisch und niemals kitschig Irmas Liebe zu Erich und ihren Kampf um die Anerkennung dieser Verbindung. Außergewöhnlich ist dieser Roman durch seine reale Vorlage, denn der Bezug zu einem wahren Lebensschicksal nimmt dem Thema seine eventuelle doch abwegig anmutende Note. Dass dies recht umfassend gelingt, verdankt Wo du nicht bist seiner Protagonistin Irma Weckmüller, die von Anke Gebert äußerst einfühlsam und sinnhaft konzipiert wird. Es gelingt der Autorin ihre Figur mit sehr viel Naivität, Liebesblindheit und Sturheit auszustatten, wodurch, wenn auch eine Identifikation mit ihr unmöglich ist, zumindest doch eine ansatzweise Nachvollziehbarkeit und Glaubwürdigkeit des Charakters und der Handlungsweisen erreicht wird. Dies wird besonders deutlich zu dem Zeitpunkt, an dem die Schrecken und Vorgehensweisen des Dritten Reichs immer deutlicher zu Tage treten, Irma aber eine umfassende oder gar rationale Bewertung des Geschehens verwehrt bleibt. Gebert gelingt es hier sehr eindrucksvoll, die Unübersichtlichkeit der sich überschlagenden Ereignisse anhand von Irmas Person darzustellen. Ebenso überzeugend ist Irmas Figurenzeichnung, wenn sie den eigentlichen juristischen Kampf aufnimmt und Gebert sie auf eine verhärmte Frau reduziert, die einsam nur noch zwischen Zigaretten und Alkohol existiert, angetrieben von dem fast schon obsessiven Verlangen die nachträgliche Anerkennung der Eheschließung zu erlangen. Ein kleiner Wermutstropfen ist in diesem Teil allerdings die Tatsache, dass die Autorin um eine klarere Ausleuchtung des Geisteszustands Irmas herumlaviert und auch die Verselbstständigung der nunmehr fast schon „fixen“ Idee unkommentiert bleibt. Stattdessen versucht der Roman bis zum Ende der Liebeshandlung treu zu bleiben und verschenkt so möglicherweise Potenzial – dies ist aber auch mein einziger größerer Kritikpunkt.

Der Aufbau des Romans ist sehr gelungen, da er zu Beginn mehr oder weniger linear erzählt und später dann in Irmas Rechtsstreit zahlreiche Rückblenden einbindet. Dies ist im Rahmen der Handlung überaus sinnvoll, erhöht den Spannungsbogen (was bei einem Roman, bei dem das Ende an sich schon mehr oder weniger bekannt ist) nicht unerheblich ist und führt zu einer Annäherung an die Diskrepanz zwischen dem Gefangensein in einer Situation und der wissenden Rückschau auf das Geschehen.

Sprachlich ist der Roman sehr lesbar, flüssig und angenehm geschrieben. Der Text stellt sich völlig in den Dienst seiner Geschichte ohne sentimental oder rührselig zu sein, auch das ist bei dem Thema dieser einzigartigen Liebesgeschichte schon ein ziemliches Unterfangen.

Insgesamt ein Roman, der nachdenklich macht, der berührt und beschäftigt, der aber eventuell mehr Einblick in die sich wandelnde Psychologie der Hauptfigur verdient gehabt hätte. Für mich ist das Buch dennoch eine absolute Lebensempfehlung.