Parallelwelt

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
jackolino Avatar

Von

Am Ende eines Gletschertals gibt es zwei Dörfer: Almenen und ziemlich unzugänglich weiter oben durch einen Wald hindurch Jakobsleiter. Almenen gehört noch zur Zivilisation, in Jakobsleiter hat man das Gefühl, ist die Zeit stehengeblieben. Auch dort leben Menschen, aber sie hausen in höhlenähnlichen Verschlägen und leben von dem, was die Natur ihnen gibt und das ist nicht viel.
Drei Kinder wachsen dort auf: Jesse, Rebekka und Edith und aus ihrer Sicht wird die Handlung erzählt. Dazu kommt noch die Erzählperspektive von Smilla, die vor 10 Jahren ihre Freundin in dieser Gegend verlor und von Laura, die als Lehrerin nach Almenen versetzt wurde und die den Kindern die Chance auf eine andere Zukunft verschaffen will.
Während Smilla seit vielen Jahren nach ihrer verschwundenen Freundin Juli sucht und auch der Polizei gegenüber schon Beweise für weitere verschwundene Frauen geliefert hat, verschwindet auch Rebekka. Sie ist eines der Kinder aus der Siedlung und sie hatte mit dem Gedanken gespielt, Jakobsleiter den Rücken zu kehren. Lange ist nicht klar, ob ihr das gelungen ist, aber dann kommt sie selbst zu Wort und schildert eindrucksvoll ihre Situation.
Im Buch herrschen dunkle Farben vor, ich kann mich kaum an einen einzigen Sonnentag mit bunten Blumen erinnern. Sehr eindrücklich werden die Höhlengänge in unterschiedlichen Schwarz-Schattierungen im Bergmassiv, Wetterkapriolen mit Regen und Sturm und Lawinenabgängen und dunkle Behausungen beschrieben und schöne und seltene Blumen tauchen lediglich auf, wenn von Pflanzenbewuchs auf Aas berichtet wird. Dennoch sind die Kinder zu Beginn durchaus vertrauensvoll, mögen sich untereinander, hängen an ihren Eltern und haben sogar einen Wolf dressiert.
Die Stimmung ändert sich schleichend im Laufe des Buches, auch wenn die Sympathie untereinander immer noch da ist. Die Kinder sind es auch, die man am ehesten als unvoreingenommen bezeichnen könnte. Auf sie hat der selbsternannte Priester des Ortes noch keinen Einfluss gewinnen können. Manchmal schien es mir so, als ob sie das, was die Erwachsenen ihnen täglich predigen, einem Realitätstest unterziehen. Sind alle Dörfler gut und alle Städter schlecht? Kann man das so verallgemeinern?
Die Autorin versteht es sehr gut, Fährten zu legen, die später gedanklich in die Irre führen. Mir passierte es mehrere Male, dass ich einen Verdacht zu haben glaubte, der sich später als falsch herausgestellt hat.
Während das Buch am Anfang noch ein paar Längen hatte, so zog es mich doch immer mehr in seinen Bann und die letzte Lesestunde endete erst nach Mitternacht.
Der Titel „Wolfskinder“ passt in zweierlei Hinsicht: tatsächlich haben die Kinder einen Wolf aus einem Wurf retten können, dessen Mutter abgeschossen wurde und sie haben ihn domestiziert und an sich gewöhnt.
Andererseits werden Kinder als Wolfskinder bezeichnet, die weitgehend ohne Zutun der Erwachsenen aufwachsen und sich schon in sehr jungem Alter allein durchschlagen. Kaspar Hauser ist das berühmteste Beispiel dafür. Im Buch kann wohl am ehesten Edith als Wolfskind bezeichnet werden.
Das Titelbild eines im Schatten liegenden Bergmassivs mit kargem Pflanzenbewuchs und darüber kreisenden Vögeln passt wunderbar zur dunklen Stimmung und unterstreicht noch einmal die Unzugänglichkeit der Gegend und die schwierigen Wegeverhältnisse.