Ein grandioser Familienroman

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mrsamy Avatar

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Amar, Hadia und Huda sind Geschwister indischer, schiitischer Einwanderer, die in Amerika leben. Die Geschwister sind in Amerika geboren, kennen nur ihr Leben dort und doch ist es so ganz anders, als das anderer amerikanischer Kinder. Die Religion und die Traditionen ihrer Eltern nehmen in ihrem Leben einen zentralen Platz ein. So darf Hadia niemals zu einer Schulfreundin nach Hause gehen, keine Freundschaften mit Jungs pflegen oder gar einen Freund haben. Ist sie älter, so erhoffen sich ihre Eltern eine gute arrangierte Ehe für sie. Amar dagegen genießt als einziger Sohn deutlich mehr Freiheiten, doch auch von ihm wird der Glaube an Gott, kein Kontakt zu Frauen und ein unbedingter Respekt vor den Eltern verlangt. Doch Amar ist anders, er rebelliert immer öfter, trifft sich heimlich mit einem Mädchen aus der Gemeinde, trinkt und raucht. Oft ist es Hadia, die seine Ausflüge deckt, doch als Hadia und Amar schon längst junge Erwachsene sind, eskaliert die Situation und Amar verschwindet über Nacht aus dem gemeinsamen Haus.
Drei Jahre später heiratet Hadia. Sie hat sich zu einer starken Frau entwickelt, die für ihre Rechte kämpft. So hat sie nicht nur erfolgreich Medizin studiert, sondern auch einen Mann aus Liebe geheiratet. Für die Familie ist die Hochzeit ein ganz besonderer Moment, eine Chance, das Alte mit dem Neuen zu verbinden. Doch dann kommt Amar zur Hochzeit seiner Schwester und alte Wunden brechen wieder auf.

„Worauf wir hoffen“ ist der Debütroman der Autorin Fatima Farheen Mirza. Im Original lautet der Titel „A Place for us“ und dieser trifft den Inhalt des Buches deutlich besser. Nahezu alle Figuren suchen ihren Platz im Leben, in ihrer Familie, immer vor dem Hintergrund ihrer Herkunft und ihres Glaubens. Raik und Leila, die Eltern der Geschwister sind noch tief verwurzelt in Tradition und Glauben, für sie ist es im Grunde egal, ob sie in Indien oder Amerika leben. Die schiitische Gemeinde, die Moscheebesuche, sind die Dreh- und Angelpunkte ihres Lebens und so erziehen sie auch ihre Kinder und merken nicht, wie sehr sie sie damit einengen. Oft leiden Hadia und Amar (Huda ist eher eine Randgestalt, die jedoch das traditionelle mit dem modern am ehesten verbindet in ihrem Leben) unter der Strenge des Vaters, der zu Jähzorn und Wutausbrüchen neigt. Wird Amar von der Mutter verhätschelt und für jede Kleinigkeit gelobt, wird von Hadia stets verlangt, ihr Bestes zu geben. Sie ist von den Geschwistern jene, die sich den familiären Bedingungen angepasst hat, jedoch nie vollständig akzeptiert. Schließlich schafft sie sich mit Studium und Liebesheirat ein eigenes Leben und erfüllt in gewissem Sinne die Rolle des Sohnes. Amar ist in jeder Hinsicht unangepasst. Er ist ein Träumer, ein Dichter, der vieles hinterfragt und meist nicht verstanden wird. An der Lebenswelt seiner Eltern muss er notgedrungener Maßen scheitern, nur in der Flucht liegt seine Rettung.
Die Autorin hat den Roman in insgesamt vier Teile gegliedert. Er beginnt mit der Hochzeit zwischen Tarik und Hadia. Das Zusammentreffen aller Familienmitglieder führt unmittelbar zum zweiten Teil, in dem ausschnitthaft, in einer sehr losen zeitlichen Reihenfolge und jeweils aus der Schicht von Hadia, Huda, Amar oder Leila die Geschichte der Familie bis zu Amars Verschwinden erzählt wird. Durch die, von der Autorin gewählte Form, dauert es lange, bis man wirklich in der Geschichte ankommt und merkt, dass man sich langsam aber stetig vorwärtsbewegt. Die Form gestattet es aber, tief in die Gefühle und Beweggründe der handelnden Figuren einzutauchen, mehrere Sichtweisen zu erfahren und wieder einmal zu verstehen, dass Handlungen manchmal ganz anders intendiert sind, als wir sie wahrnehmen. Der dritte Teil führt dann zurück zu Hochzeit und der vierte in eine Zeit einige Jahre nach der Hochzeit. Dort lernt der Leser erstmals das Innenleben von Raik, dem Vater der Geschwister kennen, es ist auch der einzige Abschnitt, welcher in der Ich-Perspektive erzählt wird. Ich fand, dass vor allem dieser Teil, meinen Blickwinkel nochmals geändert hat und das Geschehen vervollständigte. Gleichzeitig empfand ich ihn aber auch als unnötig. Die nochmalige Fokussierung auf Amar und im Zusammenhang damit auf Amars Liebe zu einem Mädchen in früheren Jahren verschiebt das Gewicht des Romans und nimmt ihm viel an Kraft. Doch trotz dessen bleibt es ein starkes Familienportrait, das uns eintauchen lässt, in eine Kultur, die unserer so fremd ist.