Ein sehr berührendes Buch über eine aktuelle Thematik

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Ein großes buntes Fest findet in einem kleinen Vorort in Kalifornien statt: Es ist die traditionell gefeierte Hochzeit von Hadia, der ältesten Tochter einer indisch-amerikanischen Familie muslimischen Glaubens. Rafik und Laila -  die Eltern - haben sich damit abgefunden, dass sie diese Verbindung, eine Liebesheirat, entgegen der Traditionen nicht arrangiert haben.
Für jedes Familienmitglied, neben den Eltern auch noch die jüngere Schwester Huda,  hat dieses Fest eine zusätzliche Bedeutung. Hadia hat nämlich einen speziellen Gast eingeladen, ihren jüngeren Bruder Amar, der seit drei Jahren dem Elternhaus ferngeblieben ist. Sehnlichst hofft sie auf eine Versöhnung mit ihrem von der Familie entfremdeten Bruder.

Von dieser Hochzeitsfeier aus katapultiert uns die Geschichte immer wieder in verschiedene Zeitabschnitte der letzten Jahrzehnte.  So erleben wir  z.B. die Werbung Rafiks um seine indische Frau Laila in Haiderabad oder bestimmte Phasen der Kindheit und Jugend der drei Geschwister, die in der Entfremdung des Bruders Amar münden. Dabei wechselt der Blickwinkel vielfach zwischen Hadia, Amar und Mutter Laila. Wir lernen die Bindungen kennen, die die Familienmitglieder zusammenschweißen oder auch fesseln, und die Belastungen, die sie trennen. Wir werden Zeugen von Geschwisterrivalität, der grenzenlosen Liebe füreinander und der kleinen Entscheidungen, die Konsequenzen für die weitere Dynamik in der Familie haben werden.
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Baba meint: „So etwas wie Freunde gibt es nicht, es gibt nur Familie, und nur die Familie lässt euch nie im Stich.“

Für die Eltern ist es eine Herausforderung, ihre mitgebrachte Kultur und Tradition an ihre Kinder weiterzugeben. Für die Kinder selber wird es ein Balanceakt zwischen der Loyalität zu ihrer Herkunft und der eigenen Entwicklung in der Kultur ihrer Außenwelt.  Stolz, Werte und religiöse Vorschriften sind dem oft jähzornigen  Vater wichtiger als die Liebe zu den Kindern. Mädchen gelten wenig in der Tradition der Eltern. Deshalb bedeutet für die ehrgeizige Hadia die schulische Bildung bis zum College und dem Medizinstudium in einer weiter entfernten Stadt  eine Befreiung. Sie muss sich den elterlichen Stolz und ihren eigenen Weg hart erkämpfen.

Oberflächlich betrachtet, ist der Roman “Worauf wir hoffen“ eine  normale Familiengeschichte über eine muslimische Einwandererfamilie, die über Jahrzehnte versucht, ihre mitgebrachten Traditionen und Regeln mit dem Amerika des 21. Jahrhunderts zu verbinden. Aber dieser erzählerische Rahmen berührt zusätzlich komplexere soziale Themen, die unsere heutige Gesellschaft bewegen: Rassismus, Religion und das Aufeinandertreffen verschiedener Religionen und Kulturen, Migrationsfolgen, Verrat, familiärer Zusammenhang.

Gerade beim zentralen Thema, der Geschichte des jungen Muslims Amar, der im Laufe seiner Entwicklung versucht, seinen Platz in der modernen Welt zu finden, offenbaren sich diese Schwierigkeiten. Ihn nerven die traditionellen und religiösen Regeln wie beispielsweise die strenge Geschlechtertrennung.  Da er sich nicht mit ihnen identifizieren kann,  bricht er sie ganz bewusst. Er leidet darunter, dass er sich durch sein eher "exotisches" Aussehen und Religion von seinen Klassenkameraden unterscheidet. Amar findet schon als Kind keine Freunde, es fehlt ihm an Motivation und dem Gefühl der Zugehörigkeit zu Familie oder Gesellschaft.

In der angespannten Situation zwischen Vater und Sohn analysiert Amar sein Verhältnis zu Glaube und dem Guten. Gefühlsmäßig ist er  noch immer mit der Religion, mit der er aufwuchs, verbunden. Es wird wohl ein lebenslanges Thema für ihn bleiben, etwas was ihn immer wieder nach Hause zieht.

Fazit

Mirzas Roman ist nach meinem Empfinden ein Buch, das den Nerv unserer Zeit getroffen hat. Sie zeigt auf,  dass es möglich ist, sowohl Amerikaner als auch Muslim zu sein, und gleichermaßen in einer modernen westlichen Familie zu leben. Die dabei auftauchenden inneren und äußeren Konflikte konnte ich sehr gut nachvollziehen. Die  starke Dichotomie von Gut und Böse, halal und haram, sowie die Suche nach dem Weg dazwischen berührt und verstört gleichermaßen.

Man kann geteilter Meinung sein, ob ein linearer Handlungsverlauf oder diese Rückblenden die Thematik besser betonen. Mir persönlich gefielen die Rückblenden, die immer mehr Licht in die Vergangenheit brachten. Dass auch der Vater seinen Blickwinkel schildert, komplettierte für mich die Handlung, allerdings hätte ich auch gern ein bisschen mehr von Hudas Position, als religiöser Schwester erfahren.

Mirza schreibt mutig über eine sehr persönliche Thematik. Die Geschichte hat einen ganz eigenen Spannungsbogen und eine wunderbare  fast poetische Sprache. Der Roman hat mich immer wieder sehr berührt.

Was mir wirklich sehr fehlte, war ein Glossar, um die religiösen oder traditionellen indischen Attribute nachzuschlagen. Sie werden zwar freundlich kursiv gedruckt, aber die Worterklärungen im Anhang oder einer Fußnote unterblieben leider.

Ich kann für dieses berührende und sehr aktuelle Buch eine unbedingte Leseempfehlung geben.
Für mich ist es mein Buch des Monats Februar, ein absoluter Glanzpunkt!