Der Philosoph und das Mädchen

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kainundabel Avatar

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Auf den ersten Blick scheint es die unmögliche Liebe eines ungleichen Paares im Amsterdam des 17. Jahrhunderts zu sein: René Descartes, Philosoph, Mathematiker, Naturforscher, und Helena Jans, halb so alt wie er, Dienstmagd im Hause des englischen Buchhändlers Sergeant. Diese historische Tatsache bildet die Grundlage von Guinevere Glasfurds Roman „Worte in meiner Hand“. Helena kann – ungewöhnlich vor allem für Mädchen der damaligen Zeit – schreiben, mangels Papier schreibt sie die Worte oft in ihre Hand (Buchtitel!). 1655 bringt sie ein Mädchen zur Welt. Descartes setzt alles daran, seine Vaterschaft zu verheimlichen, heiratet sie nicht („Du weißt, es geht nicht...), unterstützt Mutter und Tochter aber nach Kräften. Der frühe Tod der kleinen Francine bedeutet für ihn den denkbar größten Schmerz. Helena heiratet später Jan van Wel – und damit endet die nachweisbare Historie. Ob ihr später geborener Sohn Justinus tatsächlich Descartes Sohn war, ist nicht bekannt und wird im Roman auch nur vage angedeutet. Die Briefe zwischen Helena und Descartes sind nicht überliefert, im Roman verbrennt Helena sie im Kamin, sodass hier die Zeugnisse der gesuchten Nähe und der gelebten Distanz nicht mehr verfügbar und daher der Fantasie der Autorin überlassen sind. Umso mehr gelingt es G. Glasfurd hervorragend, dieser Beziehung und der Zeit der beginnenden neuzeitlichen Philosophie literarisches Leben und Atmosphäre einzuhauchen. Bei ihr findet Descartes in Helena ein selbstbewusstes Pendant. Sie steht mit beiden Beinen im Leben und geht ihren Weg trotz Enttäuschungen und des Verdachts, dass er sich ihrer und der gemeinsamen Tochter schämt.
Ich habe das Buch von Anfang bis Ende genossen, nicht zuletzt wegen des wohltuend ausgefeilten Erzählstils. Ein Zitat im Zusammenhang mit den einsetzenden Wehen der jungen Helena: „In der Nacht kam es über mich. Es näherte sich mit Fingern, dann mit Zähnen. Es kniff mich und biss mich, dann lauerte es eine Weile im Schatten.“ Großartige Literatur und absolut lesenswert!