Ein faszinierendes zwischenmenschliches Bild

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jesssoul Avatar

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"Ich drehte mich im Raum um mich selbst, vollzog den kleinsten Kreis. Was ich wollte, war nicht da. Seine Uhr, seine Papiere, sein Glas für die Schreibfeder - leer, aufgeräumt, verschwunden. Ich hatte dieses Zimmer vorher schon leer gesehen, und es hatte mir nichts ausgemacht; jetzt vergrößerte es mir meinen Verlust. Ich wollte keine Münze, kein Andenken, keine Erinnerung. Ich wollte Wörter, eine Notiz - aber es gab keine. Er war gegangen, ohne sich zu verabschieden. Er hatte alles, was ihm gehörte, mitgenommen."

Helena Jans van der Strom, die schon immer fasziniert ist von Schrift und Sprache, arbeitet bei einem Buchhändler in Amsterdam als Magd. Eines Tages mietet sich der Philosoph René Descartes in das Gästezimmer ein und auch er merkt bald, dass diese Frau mehr ist, als nur Jemand, der sein Essen kocht und das Zimmer säubert. Die beiden verlieben sich ineinander und es passiert, was nicht passieren durfte: Helena wird schwanger. Noch bevor Descartes dies weiß, verlässt er Amsterdam ohne ein Wort des Abschieds. Und Helena bleibt zurück, mit einem Andenken, das ihr Leben von Grund auf verändern wird. Trotz der Unziemlichkeit dieser Tatsache bei Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten sorgt Descartes für sie: Er besorgt ihr ein Zimmer in dem sie wohnen und das Kind gebären kann, versorgt sie mit Papier zum Schreiben, Geld für den Lebensunterhalt und besucht sie gelegentlich. Helena verzehrt sich zeitlebens nach ihm, fragt sich, ob er jemals bereit ist, dieses Leben mit ihr zu leben und eines Tages schlägt er ihr tatsächlich vor, mit ihm zu kommen, doch auch dieses Leben wird nicht so, wie sie es sich vorgestellt hat...

"Worte in meiner Hand" ist ein wortgewandter Roman über eine Frau, die stets mehr vor Augen hatte als das Leben einer Magd, die fasziniert war von Wissenschaft und Philosophie und sogar ihre eigenen Kinderbücher verlegen ließ. Dass diese beiden Menschen sich zueinander hingezogen fühlten, er, Descartes, der in einer Männerdomäne tätig war und nur selten eine Frau traf, die sein Interesse teilte, und sie, Helena, die wissbegierig nach allem schielte, was nicht mit Kochen oder Putzen zu tun hatte, ist geradezu eine natürliche Schlussfolgerung. Doch trotz der scheinbar großen Liebe konnte Descartes nie ganz über seinen Schatten springen und sich offiziell zu ihr bekennen; eine Tatsache, die Helena ihr Leben lang beschäftigte. Guinevere Glasfurd schafft hier einen wunderbaren Spagat zwischen Wahrheit und Fiktion, die erfundenen Szenen fügen sich perfekt berechnet in die belegten Tatsachen und hinterlassen beim Leser das Gefühl, Zeuge einer ganz besonderen Lebens- und Liebesgeschichte zu werden: Tragisch, schön, bewegend und bezeichnend für ein Zeitalter der Klassentrennung.

Sehr empfehlenswert!