Kein Buch zum "Runterlesen"

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stephanus217 Avatar

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Kein Buch zum „Runterlesen“

Ein Zitat aus Bertold Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“, Epilog „Wir stehen selbst enttäuscht und sehen betroffen – den Vorhang zu und alle Fragen offen“, mit dem Marcel Reich-Ranicki dereinst sein „Literarisches Quartett“ zu beschließen pflegte, beschreibt treffend mein Gefühl nach Lektüre von „Wovon wir leben“ von Birgit Birnbacher. Aber worum geht es?

Julia, die Ich-Erzählerin, war als junges Mädchen der dörflichen Enge ihres Heimatortes entflohen und lebt seit Jahren als Krankenschwester im mondänen Salzburg. Ihr eigenes Leben ist aber alles andere als mondän, sie ist gesundheitlich angeschlagen und in einer perspektivlosen Beziehung gefangen. Als sie auch noch ihren Job im Universitätsklinikum verliert, will/muss sie in ihr Dorf zurück, um sich im Schoße ihrer Familie neu zu sortieren. Aber ihre Familie, wie sie sie gekannt hatte, existiert nicht mehr. Ihre Mutter hat die Familie verlassen, ihr Vater ist schwer krank und verbittert und ihr behinderter Bruder ins Heim abgeschoben. Und auch das Dorfleben hat sich verändert; nachdem der letzte große Arbeitgeber der Region seine Pforten geschlossen hat, hat sich eine allgemeine Depression breit gemacht. Da lernt Julia Oskar kennen. Dieser lebt, in einer festen Beziehung, und arbeitet eigentlich in Salzburg und kuriert seinen Infarkt in einer Reha-Klinik am Ort aus. Zwar ist seine Lebenshaltung auch ohne Arbeit gesichert, dennoch hadert auch er mit seiner Situation. Wie ist dieser Teufelskreis zu durchbrechen?

Die Autorin berührt mit ihrem Roman wichtige Themen, stellt wichtige Fragen. Persönliches Scheitern, private oder gesundheitliche Schicksalsschläge oder Massenarbeitslosigkeit solche Themen, die, eingebettet im Niedergang der dörflichen Umgebungen, wie wir ihn auch im Deutschland der 1960ern/1970ern in den Montanregionen beobachten mussten, dargestellt werden.
Die zentrale Frage ist aber die nach dem Wert der Arbeit. Darf man in Krisensituationen auch mal ohne Arbeit einhalten und mit dem Strom schwimmen und Verantwortung auch mal abgeben oder muss man den Kampf unverzüglich wieder aufnehmen, frei nach dem Spruch „Aufstehen, Krone richten und weiter gehen“. Geht es vielleicht sogar so weit, dass die Persönlichkeit einer Person ausschließlich über ihre Arbeit definiert wird?
Die Sprache ist klar, streng, schon fast steril, was aber recht gut zu dem berichtshaften und wenig empathischen Erzählstil passt.

Das Ende bleibt letztendlich offen. Das ist vor dem letztlich doch etwas eindimensionalen thematischen Hintergrund nachvollziehbar. Aber auf einen Ausweg, eine conclusio hätte ich gehofft, vielleicht auch ein Stück weit erwartet - womit wir wieder bei dem Brecht-Zitat vom Anfang angekommen sind.