Leben ist Arbeit!?

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kkruse Avatar

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In ihrem Roman „Wovon wir leben“ beschäftigt sich Birgit Birnbacher mit der Frage, inwiefern Arbeit dem Leben einen Sinn gibt und zur Selbstverwirklichung eines Menschen notwendig ist.
Nach ihrer Kündigung als Krankenschwester kehrt die Protagonistin in ihr provinzielles Heimatdorf zurück. Schnell scheinen die dortige Enge und familiären Verpflichtungen sie zu ersticken, sie fühlt sich verloren und weiß aufgrund ihrer fehlenden Zukunftsperspektive nicht, wie es weitergehen soll. Und nicht nur sie, auch das ganze Dorf ist in diesem ungewissen Zustand gefangen, da viele Einwohner nach der Schließung einer großen Fabrik ihre Arbeit verloren haben.
Nun fehlt den Charakteren im Roman eine sinnhafte Bestimmung in ihrem Dasein, haben sie zuvor doch vor allem für und von ihrer Arbeit gelebt. Da kommt Oskar wegen einer Reha-Kur ins Dorf. Er hat vor einigen Wochen ein bedingungsloses Grundeinkommen gewonnen und kann sich für ein Jahr von allen Verpflichtungen und jeder Arbeit frei machen. Im Gegensatz zu den Dorfbewohnern nimmt er die Möglichkeit für einen Neustart im Leben dankend an und beeinflusst dadurch auch die Protagonistin, die sich zunehmend vom Dorfleben, von der Enge und von fremdbestimmten Zukunftsvorstellungen emanzipiert.
Was macht ein Leben lebenswert? Hält nur eine sinnvolle Arbeit den Motor des Lebens am Laufen und gibt uns Antrieb? Soll man sich die Freiheit nehmen, auch eine Zukunft in der Unbestimmtheit zu sehen, abseits von gesellschaftlichen Erwartungen, und das zu verwirkliche, was man selbst im Innersten als seine Lebensbestimmung sieht? Wovon, wofür leben wir?
Diesen philosophischen Fragen geht die Autorin im Roman nach. Dabei verwendet sie eine eher nüchterne, unangestrengte Sprache, die dennoch vor allem mit der Protagonistin, aus deren Perspektive in der 1. Person erzählt wird, mitfühlen lässt. Ihre Zweifel, Gedanken und Gefühle bieten vermutlich für viele Identifikationspotenzial, da sich wohl schon jeder einmal über den Sinn seiner Arbeit im Speziellen und des Lebens im Allgemeinen Gedanken gemacht hat. Kann man all das hinter sich lassen und noch einmal neu starten? Existiert eine lebenserfüllende Bestimmung für uns abseits unserer gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Position?
Im Roman herrscht eine melancholische, doch nicht unbedingt hoffnungslose Stimmung vor. Es ist sicher keine leichte, unbeschwerte Kost, da die Thematik nicht banal ist. Aber durch die klare, prägnante Ausdrucksweise liest sich der Roman dennoch gut weg und regt einem bei der Lektüre eindeutig zum Nach-, Weiter und vielleicht sogar Umdenken an.
Keine leichte Urlaubslektüre, aber ein lesenswerter Roman mit relevanter Thematik für sozialpolitisch und philosophisch interessierte Leser und Leserinnen.