Macht Mut

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Wut ist nicht gleich Wut, resümiert Ciani-Sophia Hoeder in ihrem Buch „Wut und Böse“. Sie zeigt, dass die Wut bestimmter Personengruppen als legitim betrachtet wird, während vor allem die Wut von gesellschaftlich benachteiligten Gruppen als unrechtmäßig abgetan wird. Dagegen will sie sich wehren.

Wut ist nicht gleich Wut
Ciani-Sophia Hoeders Buch ist keine wissenschaftliche Abhandlung. Obwohl sie bereits im Fließtext ihre Quellen nennt und diese im Anhang nach Kapitel geordnet übersichtlich auflistet, ist ihr Buch eher eine Mischung aus Anekdotensammlung, persönlicher Erfahrung und Aufruf zur Tat. Sie will mit ihrer Analyse nicht paralysieren, sondern aktivieren.

Hoeder fasst im Buch die Ergebnisse der Forschung zusammen: Wut sei, obwohl sich die Emotion körperlich gleich ausdrücke, gesellschaftlich betrachtet nicht gleich Wut. Vielmehr stellten Menschen diese Emotion, genau wie andere Emotionen, in ihren individuellen und gesellschaftlichen Kontext. Bestimmte Emotionen werden demnach manchen Bevölkerungsgruppen eher zugeordnet als anderen.

Furcht, so Hoeder, sei in vielen Kulturkreisen weiblich konnotiert. Das würde dann gern evolutionsbiologisch damit hergeleitet, dass die Frauen sich um den Nachwuchs kümmerten und entsprechend für dessen Sicherheit Sorge trügen – beziehungsweise verängstigt wären ob deren Sicherheit.

Wut dagegen sei eine männlich gelesene Emotion. Je eher die Person einem männliche gelesenen Stereotyp entspreche, desto eher werde Wut als eine „normale“ Emotion für diese Person anerkannt.
Hoeder erläutert, dass diese Unterschiede sich zu gesellschaftlichen Strukturen ausweiteten, die problematisch seien.


Wut als Kraft zur Veränderung
Denn Wut sei eine Emotion, die eine Aktion hervorrufe. Angst und Scham führten eher zu Rückzug. Wut dagegen befähige Menschen, für sich selbst (oder andere) einzutreten und Ungerechtigkeiten anzuprangern. Somit habe Wut das Potential zu persönlicher und gesellschaftlicher Veränderung. „Wer wütend sein darf, hat Macht. Wer es nicht sein darf, wird kontrolliert.“ (Hoeder, 2021, Seite 184).

Ein wütender Mann (zumindest wenn er zusätzlich den Mehrheitskategorien bezüglich Hautfarbe, sexueller Ausrichtung, körperlicher Fitness und anderen Merkmalen zugeordnet wird) vertrete dann berechtigte Interessen.

Er sei zum Beispiel wütend, wenn er nach eigener Betrachtung für seinen Job nicht angemessen bezahlt werde, oder wenn die Gesetzgebung ihn in seinem Lebensstil beeinflusse und er sich dadurch eingeschränkt fühle. Diese berechtigte Wut dürfe er entsprechend ausdrücken, denn er kämpft für die gerechte Sache.

Vielen anderen Gruppen dagegen würde Wut nicht als legitime Emotion zugestanden. Im Gegenteil würden diese Menschen häufig zurechtgewiesen: Sie sollten ihre Argumente sachlich vorbringen, statt wütend zu argumentieren. Denn sachliche Argumente würden viel eher zu einem Umdenken der anderen führen als ein wütender Ausbruch.

Dabei werde, so Hoeder, oft unterschlagen, dass der Grund der Wut häufig in strukturellen Ungleichbehandlungen liege. Diese strukturellen Ungleichbehandlungen seien von denjenigen, gegen die sich die Wut richte, bisher nicht beseitigt worden. Daraus werde geschlussfolgert, dass Argumente entsprechend nicht fruchteten.


Die Wut von machtlosen Gruppen
Hoeder macht deutlich, dass die Erwartung an eine sachliche Argumentation ohne Gefühlsausbrüche in Deutschland (aber auch international) größer werde, je weiter die Person vom Bild des heterosexuellen, weißen Mannes ohne körperliche Einschränkungen entfernt sei. Daraus folge, dass besonders Women of Color, die sich nicht heteronormativ verhielten, schnell als wütende, irrationale Furien verschrien seien – unabhängig von der Rechtmäßigkeit ihres Anliegens.

Hoeder nennt viele Beispiele sowohl aus ihrem persönlichen Umfeld als auch aus der öffentlichen Debatte, in denen wütenden weiblich gesehenen Personen die Rechtmäßigkeit ihrer Wut abgesprochen würde.

Besonders das Beispiel von Greta Thunbergs Rede vor den Vereinten Nationen dürfte hierbei den Leser*innen sofort bekannt sein. Thunberg sprach in New York vor den Vertreter*innen der Nationalstaaten davon, wie diese es wagen könnten, ihre Zukunft zu zerstören. Viele Menschen reagierten im Anschluss nur auf ihre Wut und Verzweiflung statt auf den Inhalt ihrer Rede.


Verändert sich unser Bild von Wut?
Die einzige Wut, die Frauen zugestanden werde, sei stellvertretende Wut für andere. Eine Frau dürfe wütend sein, wenn ihre Kinder betroffen seien. Hier werde die Wut wiederum evolutionsbiologisch mit dem angeblichen Fürsorgegen der weiblichen Bevölkerung verknüpft.

Aufgelockert wird der Fließtext durch ein Kapitel mit einem Interview, in dem drei Frauen (Großmutter, Mutter, Tochter) über ihre Einstellungen zur Wut sprechen. Die drei sind sich einig, dass Frauen heutzutage bereits mehr Wut zugestanden werde als in früheren Generationen.


Wie gehen wir mit Wut um?
Nun stellt sich die Frage, wie mit dieser Sachlage umzugehen ist. Wie bereits eingangs gesagt will Hoeder keinesfalls paralysieren sondern Mut machen, die eigene Wut zu nutzen und auch andere darin zu unterstützen.

Folgende Ideen werden im Buch vorgestellt:

* Erzieht eure Töchter dazu, laut ihre Meinung zu sagen, für sich und andere einzustehen und Wut nicht als männliche Emotion wahrzunehmen.
* Erzählt wütenden Frauen nicht, dass sie sachlich sein sollen, sondern akzeptiert ihre Wut.
* Erkennt an, dass die Forderungen bestimmter Bevölkerungsgruppen eben nicht umgesetzt wurden, wenn diese emotionslos und sachlich vorgetragen wurden.
* Akzeptiert das Potential von Wut, positive gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen.
* Löst Emotionen aus dem Kontext bestimmter Personengruppen.


Fazit

Hoeder spannt in ihrem Buch Wut und Böse den Bogen von der wissenschaftlichen Forschung und ihren persönlichen Anekdoten hin zu einer „Anleitung zum Wütendsein“. Dabei geht es ihr nicht darum, dass alle Menschen grundsätzlich wütend durch die Gegen laufen sollten. Erst Recht nicht geht es ihr darum, mittels Wut Gewalt oder Hass zu legitimieren. Doch sie erkennt das Veränderungspotential an, das in der Wut steckt. Und deshalb wünscht sie sich, dass die Wut aller Menschen als Wunsch zur Veränderung anerkannt wird. Natürlich wäre es schön, wenn sachliche Argumentationen zu ähnlichen Ergebnissen führen würden. So lange das nicht der Fall ist, so Hoeder, sollten wir die Wut nutzen, um persönliche und gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen:

„Wütend zu sein und mithilfe dieser Emotion eine Ungerechtigkeit zu ändern, ist ein betörendes Gefühl. Es ist die Erkenntnis, dass eine eigene Handlung wirksam ist.“ (Hoeder, 2021, Seite 186)