Abgründe, ohne zu beschweren

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„Wut und Liebe“ ist eine der Geschichten, mit denen man in Suters Kosmos einsteigen kann, weil es diesen für ihn so typischen Sog entfaltet. Gelingt es einem mit diesem Buch nicht, den zu empfinden, ist man kein „Suterer“.

Die Geschichte beginnt damit, dass Camilla, Muse und Ernährerin, Noah mitteilt (ja, so lapidar ist es), dass sie ihres Lebens mit ihm überdrüssig ist: Sie liebe ihn, aber das Leben mit ihm könne so für sie nicht weitergehen, weshalb sie sich von ihm trenne. Noah kann das zwar nachvollziehen, liebt Camilla aber so, dass er seine Möglichkeiten abwägt: Er braucht Geld, wozu ihm nahezu jedes Mittel recht ist – und dieses Mittel scheint Betty Hasler ihm zu bieten, die eine Rechnung mit einem Unternehmensberater offen hat …

Natürlich könnte man Suter vorwerfen, dass vielen seiner Geschichten im Kern eine ähnliche Idee innewohnt, hier ist es ein brotloser Künstler, der eine von Wut und Rachegelüsten verbitterte alte Frau ausnutzt – seine Freundin will sich einen Versorger, vielleicht sogar einen reichen Mann angeln, um nicht mehr ihrem öden Brotjob in der Buchhaltung nachgehen zu müssen: zwei Menschen, die Kopfentscheidungen treffen, mit denen sie nicht glücklich sind; ein Unternehmensberater, der Menschen ausbeutet bzw. letztlich ihren Tod zumindest billigend in Kauf nimmt; letztlich fühlt jeder sich (vom Leben oder anderen Personen) ungerecht behandelt, will etwas dagegen tun und verstrickt sich damit nur umso mehr in ein Drama. Ja, manches, wenn nicht vieles ist vielleicht klischeehaft, aber gut erzählt und tatsächlich sind diese Themen ja die, um die das Leben kreist: Liebe und wie weit man dafür gehen würde, letztlich ist das das treibende Motiv aller Figuren – nur zu unterschiedlichen „Dingen“. Man schaut den Figuren gebannt zu, wie sich das Machtgefüge zwischen ihnen verschiebt, sie sich selbst (und anderen) in die Tasche lügen, womit „Wut und Liebe“ ein wenig einem Kammerspiel gleicht, dessen Protagonistinnen zugleich Regisseure sind – zugleich aber fühlt es sich wegen der Wendungen ein wenig wie ein Krimi an. Suter erzählt mit schlafwandlerischer Sicherheit von Abgründen, ohne seine Hörer zu beschweren, mit Spitzen, die man oft erst beim Nachdenken über das Gehörte bemerkt. Damit hat er eine für sich ganz eigene Kunst geschaffen, die ihresgleichen sucht. Zwar liest Gert Heidenreich mit angenehmer Stimmlage und Vortragsart, allerdings geht sich für mich die Geschichte als Hörbuch etwas weniger aus, als das Buch, weil die von Suters Schreibweise getragene Eleganz beim gesprochenen Wort weniger hervortritt.