Die Geschichte von den armen Reichen

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toniludwig Avatar

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Gefühlt erscheint vom bereits 77 Jahre alten Schweizer Schriftsteller Martin Suter jedes Jahr ein neues Buch. Das Erscheinen seines jüngsten Romans >>Wut und Liebe<< bei Diogenes, dem Hausverlag des Autors, ist bereits das 32. Werk von Suter, was umso erstaunlicher ist, da dieser erst 1997 seinen Durchbruch als Schriftsteller feiern durfte.
Seither ist viel darüber diskutiert worden, ob ein Vielschreiber wie Suter den grundlegenden literarischen Ansprüchen der Gegenwart genügen würde.
Seinen Kritikern ist mindestens entgegenzuhalten, dass er noch immer eine ungemein grosse Leserschaft anzieht, von den vielen Verfilmungen besonders seiner >>Allmen-Reihe<< ganz abgesehen.
Und so werden wir auch im neuen Roman von Suter in eine Welt entführt, in der sich der Autor offenbar auskennt und in die sich der geneigte Leser nur allzu gerne begibt : in die Welt der Reichen und Schönen, welche sich nicht zwingend durch edle Charaktereigenschaften auszeichnen müssen (wenn sie überhaupt Charakter zeigen).
Der Plot des neuen Romans ist angesiedelt in der Kunstwelt und im Grunde schnell skizziert :
Junger, erfolgloser bildender Künstler wird von seiner Freundin verlassen, die ihn nicht mehr länger finanziell unterhalten mag. Der junge Mann lernt eine ältere Frau kennen, die ihn unter bestimmten Bedingungen auch finanziell kräftig unterstützen würde, worin der Schmachtende eine Chance wittert, seine attraktive Freundin (>> schön wie die Venus von Botticelli<<) zurückzugewinnen und mit ihr ein unbeschwertes Leben zu führen.

Doch Suter wäre nicht Suter, wenn er nicht die Beziehungen und Verhältnisse gehörig durcheinander wirbeln würde. Es entstehen Verflechtungen und Verirrungen, es gibt Verzweiflung und Tote, Sex und postkoitale Tristesse mit Verkaterung, kriminelle Energie, aber immer gänzlich anders, als der Leser es erahnen mag.
Das ist mindestens unterhaltsam und schon aus diesem Grunde lohnenswert, es entwickelt sich durchaus ein Lesesog.
Dabei werden im Laufe der Handlung unzählige Getränke konsumiert (bevorzugt Champagner und Cocktails) und natürlich auch gepflegt gegessen, selbst bei überraschenden Enthüllungen denkt der gerade kochende Künstler eher an das Umrühren seines mit Weisswein abgelöschten Risottos.

Und so kann man für die Lesezeit das gesamte Elend dieser Welt ausblenden und für sich selbst entscheiden, ob man sich einer Welt zugehörig fühlen möchte, in der zumindest für eine überschaubare Zeit das vermeintlich schöne und unbeschwerte Leben mit nur wenigen Intrigen möglich sein könnte, >>ein Leben, in dem ich nicht immer überlege, worauf ich verzichten muss, um mir das oder das zu leisten ..., das ich mir nicht verdienen muss mit einer Arbeit, die ich hasse ...<<.

Die Handlung wird rasch vorangetrieben, ohne dass deren Protagonisten tiefgründiger die unterschiedlichen Situationen reflektieren, philosophische Abhandlungen sind bei Suter ohnehin nicht zu erwarten, allenfalls fällt nebenher eine Äusserung wie >>Gegen Wut hilft Liebe<<, der Titel bekommt seine Bedeutung.

Aber das ist freilich auch nicht Suters Anspruch und ex cathedra wollte ich nicht reden.
Was bleibt : eine spannender Blick in die Abgründe der menschlichen Seele und ansprechende Unterhaltung - nicht mehr und nicht weniger.