Bestseller werden gemacht

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aischa Avatar

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Erfolgsautorin Rebecca F. Kuang knöpft sich mit "Yellowface" den Literaturbetrieb vor und spart dabei nicht gerade mit Kritik: "Sind erfolgreiche Bücher nur so erfolgreich, weil irgendwann alle ohne ersichtlichen Grund beschlossen haben, sie zum Titel der Stunde zu küren?" lässt sie sich ihre Protagonistin fragen. An anderer Stelle heißt es noch provokanter: "Bestseller werden ausgewählt. Nichts, was du tust, zählt."

So weit, so interessant, könnte man meinen. Allerdings bekommt dies (und einiges mehr) einen seltsamen Beigeschmack, wenn man sich vergegenwärtigt, welch gigantische Marketingmaschinerie Borough Press (zum HarperCollings Verlag gehörend) zur Veröffentlichung von "Yellowface" aufgefahren hat. Die stereotypen asiatischen Augen auf gelbem Hintergrund, die das englische wie auch das deutsche Cover zieren, verfolgten potenzielle Leser*innen in den U.S.A. und in Europa auf riesigen Plakaten, prominenten Aufstellern in Buchhandlungen ebenso wie auf unzähligen online-Bannern. Gerne würde ich Kuang dazu befragen, wie sie diese offensichtliche Diskrepanz erklärt - einerseits zu kritisieren, dass Bestseller "gemacht" würden, und sich andererseits eben dieser Mechanismen selbst zu bedienen. Vielleicht ist dies ja eine Sonderform der Ironie, die ich nur nicht verstanden habe ...?!

Aber nun zur eigentlichen Geschichte. Der Plot ist erfrischend originell: Die beiden Jungautorinnen June und Athena verbindet eine lockere Bekanntschaft, Athena schwimmt von einer Erfolgswelle zur nächsten, wohingegen Junes Manuskripte nur schwer verlegt und die erschienenen Bücher kaum verkauft werden. Als Athena im Beisein von June stirbt und diese einen unveröffentlchten Romanentwurf Athenas findet, sieht sie ihre Chance gekommen: Sie schreibt die Geschichte um und gibt sie als die ihre aus. Kuang packt eine Vielzahl an aktuellen Themen in ihre Story, es geht um kulturelle Aneignung, Hate Speech auf Social Media, Cancel Culture, Rassismus und vieles mehr, immer im Mikrokosmos der Literaturszene und des Verlagswesens.

Das Tempo ist rasant, die Erzählung ist kurzweilig und, zumindest zum Ende hin, spannend. Vieles ist satirisch überspitzt, aber dies geht leider auf Kosten der Figurenentwicklung. June und Athena bleiben oberflächlich dargestellt, ihre jeweiligen Beweggründe sind, wenn überhaupt, nur angedeutet, schemenhaft. Auch über Freunde und Familien der Protagonistinnen erfährt man herzlich wenig. Obwohl Athenas Familie für den Fortgang der Geschichte eine große Rolle spielt (ihre Mutter plant, Athenas Tagebücher nach dem Tod der Tochter öffentlich zugänglich zu machen), bleibt Wesentliches im Dunkeln. Ich-Erzählerin June klingt oft sehr unreif und wesentlich jünger als sie ist. Auch hat sie als unzuverlässige Erzählerin für mich nicht funktioniert, dies ist einfach zu plakativ, sie präsentiert ihre moralischen Verfehlungen platt und liefert fadenscheinige Rechtfertigungen, hier fehlte mir die Raffinesse.

Auch die Übersetzung durch Jasmin Humburg könnte besser sein: Manche Ausdrücke ("blurb" für Klappentext) bleiben im Original stehen, Redewendungen wurden hölzern und verfälschend wörtlich statt sinngemäß übertragen. Auch inhaltlich hat das Lektorat einiges übersehen, so tropft einer Figur Eigelb von den Lippen, nachdem sie 13 Minuten (!) lang gekochte Eier gegessen hat.

Ein witziges Detail hat mir jedoch gut gefallen: Entfernt man den Schutzumschlag, so erscheint auf dem Cover "Die letzte Front" von Athena Liu (durchgestrichen) bzw. Juniper Song (Junes Pseudonym), ein kreativer gestalterischer Einfall, wie ich finde. Insgesamt reicht es für mich aber nur für ein "geht so".