Wo beginnt kulturelle Aneignung?

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buecherfan.wit Avatar

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June Hayward und Athena Liu sind seit ihrem Studium in Yale befreundet und sind beide Schriftstellerinnen. Während Junes erstes Roman ein Misserfolg war, ist Athena im Alter von 27 der neue Star der Literaturszene. Eines Tages befinden sich die Freundinnen in Athenas Wohnung, als Athena sich verschluckt und stirbt. Spontan nimmt June das gerade fertiggestellte Manuskript über chinesische Arbeiter im 1. Weltkrieg an sich. Sie überarbeitet es nach eigenen gründlichen Recherchen und lässt es unter dem Namen Juniper Song veröffentlichen. Das Buch wird ein großer Erfolg, aber schon bald gibt es die ersten kritischen Stimmen, die bezweifeln, dass sie die Autorin ist, zumal Athena zu Lebzeiten über ihr neues Projekt gesprochen hatte. Mit der Veröffentlichung verändert sich Junes Leben grundlegend. Zwar muss sie sich keine finanziellen Sorgen mehr machen, aber fortan lebt sie mit einer Lüge. Sie tut alles dafür, dass die Wahrheit nicht ans Licht kommt, muss ihre Tat aber auch fortwährend vor sich selbst rechtfertigen. Zu den Rechtfertigungsgründen gehört auch, dass Athena sich genauso bei ihr bedient hat, wenn sie Junes Leid egoistisch und arrogant zu Literatur verarbeitete. Die Hasstiraden und Drohungen in den sozialen Netzwerken führen bei June zu psychischen Störungen. Sie hat Depressionen und Albträume, kann phasenweise das Haus nicht mehr verlassen und sind buchstäglich Geister. Auch das Schreiben, das zuvor ihre größte Freude war, ist zeitweise nicht mehr möglich.
Neben der persönlichen Geschichte der Ich-Erzählerin June geht es auch um zahlreiche aktuelle Themen, z.B. die Rolle der sozialen Medien in unserem Leben und bei der Vermarktung von Büchern, das Verlagswesen insgesamt mit Rivalitäten und Intrigen, Diversität, kulturelle Aneignung und Plagiate. Der Einblick in das moderne Verlagswesen ist zwar interessant, nimmt aber in dieser Ausführlichkeit der Geschichte die Spannung. Auf der Handlungsebene passiert nach dem Diebstahl gleich zu Beginn nicht mehr viel, und es gibt kaum eine Entwicklung bei der wenig sympathischen Protagonistin. Insgesamt halte ich den hochgelobten Roman für etwas überbewertet und bin ein wenig enttäuscht.