Geschwisterlich biblische Duldsamkeit

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"Für die hypermaskuline Welt der Arbeiterviertel in Glasgow der 90er Jahre ist Mungo zu hübsch und zu sanft. Sein Bruder Hamish, gefürchteter Bandenführer, will ihn zum Mann machen und schleift ihn zu den brutalen Kämpfen zwischen Protestanten und Katholiken. Dann trifft Mungo auf James und mit ihm kann er sein, wie er ist. Doch die Liebe die zwischen den Jungen wächst, ist lebensgefährlich - …" (Klappentext)

Young Mungo verhält sich oft im Umgang mit Menschen auf Grund seiner Lebensumstände in seiner Entwicklung etwas zurückgeblieben. Er lechzt verständlicherweise bei seiner Schwester, seinem Bruder und seinem Freund James nach innigster Behütung, die ihm seine selbstsüchtig barbarische, mit alkoholischer Verdammnis bepuderte Mutter bewusst nicht schenkt. Der Weg sich davon zu befreien, wird ein aufgedrungen schmerzhafter sein.
Wieder einmal erzählt Douglas Stuart einfach pur aus dem Leben, von Menschen mit ihren Geschichten. Nach dem erfolgreichen Roman 'Shuggie Bain' schenkt er auch mit 'Young Mungo' den Menschen Glasgows auf beeindruckend ergreifende Art und Weise eine Stimme. Er kreiert klirrend plastische Bilder für das Leben umwogende Leid und für die hervorbestimmt eingemeißelten sowie zu erduldenden Trostlosigkeiten von Sozialgenesen, die einfach da sind und Lebenswege beharrlich bestimmen. All dies erzählt er mit einem eiskalt neutralen, humorvoll radikalen Sound in der Stimme, der die ironische Brutalität des Schicksals so erstrahlen lässt, dass es Dir ungehalten die Unterwäsche vom Leib reißt, um dich einsam verdutzt mit der geschilderten Welt vor dem Spiegel zurückzulassen.
Auf faszinierende Weise findet der Autor immer wieder Worte klarster Nüchternheit für substantiell selbst erhaltende Auswege - er erschafft eine eigene literarische Welt für das Hecheln der Protagonst*innen nach Möglichkeiten, die ihnen den ganzen, unausweichlich erlebten Mist erträglich machen könnten.

Der Roman ist auch eine Geschichte zweier Mutterseelen allein gelassener, heranwachsender Jungs - James und Mungo -, die mit einer zart emotionsgeladen tröstender Sprache begleitet wird. Beide haben vernunftgetränkte Schwestern, die sich auf unterschiedlichste Art und Weise um sie kümmern, und versuchen die bewusst im Abseits stehenden Eltern zu ersetzen. Beide wollen sich in dieser sozial verwahrlosten Einsamkeit suchend stützen.

"Mungo lehnt sich an ihn und füllte die Lücke unter seinem Arm. Er spürte die Gezeiten in James' Brustkorb und ließ sich auf der Dünung treiben. Das langsame Auf und Ab zog ihn mit, und der Seufzer am Ende jedes Atemzugs tröstete ihn." (141)

Es ist aber auch eine Geschichte zweier ungleicher Brüder, die sozial abgedrängt ich Dickicht gemeinsam und getrennt voneinander versuchen zu überleben. Ihre geschwisterlich biblische Duldsamkeit strotzt aller leiblich und seelisch widerfahrenen Grausamkeiten und ermöglicht ein aus großer Liebe versöhnlich erhabenes Wiederfinden. Fast unaushaltbar für Leser*innen, aber in seiner einfachen Innigkeit tröstlich!

Ein Autor, der ein Zeichen für Ungehörte setzt und sich mit einer beeindruckenden Stimme in der literarischen Welt manifestiert.