Young Mungo

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
elena_liest Avatar

Von

Mungos Mutter Mo-Maw steht am Fenster und beobachtet ihren Sohn dabei, wie er mit den beiden Männern an die Ecke läuft. Er dreht sich um, schaut traurig zu ihr nach oben - doch es ist die richtige Entscheidung, findet sie, die beiden Fremden werden an diesem Angelwochenende in der Natur einen Mann aus ihm machen, ihren weichen Sohn hart machen. In den Monaten zuvor ist viel passiert im Glasgower East End der 90er Jahre, Vieles, was vor allem Mungos Bruder und Bandenführer Hamish nicht passt. Kalt, brutal und gefürchtet soll Mungo für ihn sein, doch Mungo ist zart und künstlerisch, eine Provokation - vor allem, als James in Mungos Leben tritt.

Düster, erschütternd und herzzerreißend - so würde ich den neuen Roman "Young Mungo" von Douglas Stuart, aus dem Englischen übersetzt von Sophie Zeitz, beschreiben. Der Autor erzählt die Geschichte des 15-Jährigen schwulen Mungo, der im East End Glasgows unter Armut, Bandenkriegen zwischen Protestant*innen und Katholik*innen und schwierigen Familienverhältnissen aufwächst. Seine Mutter ist Alkoholikerin und lässt die Kinder im Stich, weshalb sich seine Schwester Jodie um ihn kümmert, während er in ständiger Angst vor seinem großen Bruder Hamish lebt. Zeit und Gegend sind rau, vor allem für einen Jungen wie Mungo, der durch seine liebe, gefühlvolle Art für die Menschen des Viertels nicht "männlich" genug ist. Besonders gefährlich wird es für den Protagonisten, als sich zwischen ihm und dem Nachbarsjungen James eine zarte Liebesgeschichte entwickelt.

In Rückblenden lässt Douglas Stuart Mungos letzte Monate vor dem Angelausflug Revue passieren, Stück für Stück erfährt man, wie es für Mungo zu dieser Tour mit den zwei Männern gekommen ist - und ich kann rückblickend kaum sagen, welche Zeitebene mich mehr aus der Fassung gebracht hat. Mungo erfährt seelische, körperliche und sexualisierte Gewalt, und das auf extreme, brutale Art. Ich wollte das Buch an vielen Stellen gerne einfach weg legen und nie mehr aufschlagen, so belastend habe ich die Geschichte empfunden. Vor dem Hintergrund, dass Douglas Stuart selbst in Glasgow aufgewachsen ist, sicherlich viele eigene Erfahrungen in das Buch mit eingeflossen sind und die Fiktion für viele queere Menschen im Schottland der 90er Jahre (und sicherlich in Teilen auch noch heute) bittere Realität ist, habe ich die Lektüre nicht vorzeitig zugeklappt. Trotzdem frage ich mich, wie viel explizite Gewaltsamkeit eine Lektüre verträgt - eine Frage, die ich mir auch bereits bei seinem Debütroman "Shuggie Bain" oder bei Hanya Yanagiharas "Ein wenig Leben" gestellt habe. Für mich selbst kann ich diese Frage mittlerweile beantworten: Ich möchte von so viel Leid nicht mehr lesen. Deshalb werde ich auch keine weiteren Bücher des Autors mehr in die Hand nehmen.

"Young Mungo" hat mich sehr berührt, ich wurde von der Geschichte gefesselt, emotional an die Figuren und historischen Gegebenheiten gebunden - eine Empfehlung kann ich aber aufgrund der vielen Trigger trotzdem nicht aussprechen.