Die Schrecken zweier Zeiten und zweier Generationen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
nähpummelchen Avatar

Von

Dies war der erste Roman, den ich von Hera Lind gelesen habe und er hat mich sehr bewegt. Streckenweise musste ich das Buch nach einigen Seiten beiseite legen und erst einmal setzen lassen.
Die Geschichte startet mitten in den letzten Kämpfen des zweiten Weltkriegs in Ostpreußen. Eine junge Frau, Rosa, mit drei kleinen Söhnen versucht in der bittersten Winterkälte, zusammen mit den anderen Bewohnern des Dorfes, noch den nächsten Bahnhof zu erreichen, um den letzten Zug in den Westen zu besteigen. Sie verpasst den Zug - zum Glück. Denn er fährt genau in die andere Richtung und sie entkommt damit einem schlimmen Schicksal und die Kinder dem sicheren Tod. Eine zweite, wohlhabenere Familie - Mutter mit beinahe erwachsener Tochter - kommen ebenfalls zu spät am Bahnhof an während Rosa auf der Bahnhofstoilette ein Baby findet, noch kein Jahr alt. Die wohlhabene Dame nimmt sich dem Baby an und die Wege der beiden Familien trennen sich wieder. Rosa versucht mit ihren Jungs die harte Zeit bis zum Kriegsende und danach zu meistern, beugt sich dem Aussiedlungsgesetz und trotzt den Deutsch-feindlichen Attacken der polnischen Nachbarn. Zwei ihrer Söhne sterben bei einem schrecklichen Tretmienenunglück. Ihr Jüngster überlebt und Rosa zieht all ihre Kraft weiterzukämpfen und -leben aus der Liebe zu ihrem Sohn. Bis sie sich irgendwann eingestehen muss - Viktor ist inzwischen erwachsen - dass er als statenloser in Polen keine Zukunft hat und nun doch beschließt, in die BRD zu ihrer Schwester auszuwandern.
Sie fasst Fuß und gewöhnt sich mehr oder weniger gut ein - wichtiger ist für sie, dass Viktors Zukunft sich entwickelt. Durch berufliche Umstände lernt sie eine Frau kennen und schnell stellt sie fest, dass sie die leibliche Mutter des Kindes sein muss, dass sie auf der Bahnhofstoilette gefunden hat. Sie helfen einander und machen tatsächlich die Familie ausfindig, die sich dem Baby angenommen hat. Nur lebt diese Familie auf Rügen in der DDR. Da sich weder Rosa noch die leibliche Mutter des, inzwischen erwachsenen, Kindes in der Lage fühlen, eine so lange Reise auf sich zu nehmen, übernimmt Viktor das erste und viele nachfolgende Treffen. Die junge Frau - Klara - kämpft zunächst mit tausenden Gefühlen über die Nachricht, dass ihre Familie nicht ihre leibliche Familie ist und ist ihnen gleichzeitig dankbar dafür, dass sie sie aufgenommen haben und ihr ein Schicksal oder der Tod in Sibirien erspart geblieben sind. Mit der Zeit verlieben sich Viktor und Klara, sie wird schwanger. Doch durch die innerdeutsche Grenze ist ein Zusammenleben beinahe unmöglich. Irgendwann werden beide inhaftiert. Doch auch die menschenunwürdigen Haftbedingungen und den zeitweisen Verlust ihres Kindes steht diese Liebe durch und am Ende bleibt beiden auch die Zeit zu verzeihen.
Die schweren Schicksale dieser beiden Generationen fand ich bemerkenswert, und auch wie das Wissen der zweiten Generation um die Leiden der Generationen geholfen haben, durchzuhalten. Es war gewiss keine leichte Lektüre, jedoch eine mit so viel Herz und Empathie. Es ist ein Buch, das ich aus so vielen Gründen gerne empfehlen möchte.