Der böse Zwilling

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fräulein_jennifee Avatar

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Wer hat nicht schon einmal mit Unbehagen auf das eigene Handy angeschaut, sich fragend, was es wohl über einen weiß? Mila geht noch weiter. Getrieben von der Angst, gecancelt zu werden, löscht sie sich aus dem Internet. Sich selbst “auslöschen”, darum geht es in Jenifer Beckers Debütroman. Und um die Frage nach dem, was danach kommt.

Alles beginnt (und endet) mit Mila. Sie war Autorin und Dozentin, vor allem aber war sie Userin, von Instagram, Facebook, YouTube. Mit der ersten Seite beginnt sie, diese alte Identität abzustreifen wie eine abgetragene Haut. Eine Veränderung, die nicht immer angenehm mitanzusehen ist, denn Becker hat bei Mila alle Antipathieregler voll aufgedreht. Mila ist nicht sympathisch. Mila will nicht sympathisch sein. Als aknegeplagte Einzelgängerin, die ihr Leben isoliert in den Wänden ihrer zugigen Wohnung verbringt, ist sie alles, was wir nicht sein wollen.

Zeiten der Langeweile kreist um Digitalisierung. Um ihre Fallstricke und um das, was sie mit unserer Psyche, mit uns selbst macht. Trotzdem hinterlässt die deutlich formulierte Kritik einen schalen Beigeschmack, denn am Ende des Tages steigert Mila sich in Wahnvorstellungen hinein, die weit über jeden bewussten (oder gesunden) Umgang mit sozialen Medien hinausgehen. Was würde nun passieren, würde man Zeiten der Langeweile mit Schwung ins Silicon Valley werfen, wie der Kollege Philipp Winkler vorschlägt? Was hätten die CEOs von Apple und Google Zeiten der Langeweile entgegenzusetzen? Ganz einfach: Dass Mila paranoid ist. Nicht ganz normal im Kopf. Dass auf dem Rücken einer Verrückten kein Nährboden für ernsthafte Kritik ist. Und das Traurige ist: Sie hätten recht.

Milas an vielen Stellen überzeichneter Charakter ist die wohl einzige Schwachstelle dieses ansonsten ausgezeichneten Querschnitts unserer Zeit. Zeiten der Langeweile ist ein Sammelsurium aus medialen Querverweisen, ein Meisterstück der Intertextualität. Mila aber ist der böse Zwilling all unserer Sozialängste und nicht jeder ist bereit, sich mit diesem Teil seiner Selbst über 240 Seiten hinweg abzugeben.