Ein aufwühlender Roman

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
mrsamy Avatar

Von

Als Kinder waren die eineiigen Zwillinge Viola und Isolte nahezu unzertrennlich. Zusammen mit ihrer Mutter lebten sie in einem kleinen Haus im Wald an der Ostküste Englands. Ihre Tage waren gefüllt mit einer Vielzahl von Abenteuern. Gemeinsam mit den ebenfalls eineiigen Zwillingen John und Michael aus dem nahen Dorf erkundeten sie die Gegend, waren immer in der Natur unterwegs. Jahre später ist alles anders. Isolte und Viola leben in London. Während Isolte erfolgreich ist und in der Redaktion einer Modezeitschrift arbeitet, ist Viola schwer an Magersucht erkrankt und hat nur einen Wunsch: sich endlich aufzulösen, leicht zu sein, wie ein Vogel. Beide befinden sich auf ihre je eigene Weise auf der Flucht. Auf der Flucht vor der Vergangenheit – über 15 Jahre sind seit jenem Sommer vergangenen, der das Leben der Zwillinge auf immer verändert hat und dessen Schatten sie noch immer gefangen hält.

Saskia Sarginson hat mit „zertrennlich“ einen Roman geschaffen, wie man ihn nicht alle Tage findet. Das Geschehen spaltet sich auf in Gegenwart und Vergangenheit. Während Sarginson bei Isoltes Handlungsstrang auf einen auktorialen Erzähler zurückgreift, bedient sie sich bei Viola eines Ich-Erzählers, der gleichsam auch bei den Erinnerungen an die Vergangenheit zum Tragen kommt. Denn es sind Violas Erinnerungen. Sie beschäftigt sich nahezu täglich mit jenen fernen Geschehnissen, während Isolte krampfhaft versucht, alles zu verdrängen. Isoltes Erinnerungen beschränken sich auf die Londoner Zeit und sind extrem spärlich gesetzt. Die verschiedenen Handlungsstränge wechseln stets nach einem Kapitel, erst am Ende des Romans rückt ganz die Gegenwart in den Fokus. Beim Lesen braucht man eine Weile, um sich an das ständige Umschalten zu gewöhnen. Natürlich entsteht so auch eine unweigerliche Spannung, die einen immer weiter drängt und schon bald völlig in ihren Bann schlägt. Der Roman zeichnet sich vor allem durch seine Unterschwelligkeit aus und so verspürt man nicht selten ein Schaudern, wenn Violas Erinnerungen die Vergangenheit auch für den Leser zugänglich machen. Sarginsons Schreibstil ist sehr eindringlich, die Sätze kurz, die Worte immer treffend und prägnant. Dies ist nicht verwunderlich, kommt doch der Sprache – oder vielmehr auch der Sprachlosigkeit eine besondere Bedeutung zu. Während Viola die richtigen Worte nicht findet, um sich ihrer Schwester mitzuteilen, weigert sich Isolte über die Ereignisse von damals zu sprechen. Ein durchdringendes Schweigen, in dem jedes Wort doppelte so schwer wiegt. Die Charaktere sind sehr gut ausgearbeitet, die Entwicklung der beiden Schwestern ist nachvollziehbar und ergibt sich vollkommen aus ihrer je unterschiedlichen Handhabung der Ereignisse der Vergangenheit. Ich schließe mit einer absoluten Leseempfehlung für diesen Roman, der einen so schnell nicht wieder loslässt.