Zeugin der Toten

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sissidack Avatar

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Da ich sonst nicht unbedingt eine Freundin von Kriminalromanen bin, habe ich in diesem Genre auch entsprechend wenig Erfahrung. Jedoch besitze ich Informationen zu in der DDR bestehenden Kinderheimen. Fakt ist, es wurden vor allem Kinder aus Familien in Heimen untergebracht, denen es hier besser ging als bei ihren Eltern. Schmutz, Verwahrlosung, Hunger, Schläge und Vernachlässigung gab es natürlich auch in der DDR, genau wie in unserer heutigen Zeit. Es ist nun gegeneinander abzuwägen, ob Disziplin und Gruppenzusammengehörigkeitsgefühl, was in einer großen Gruppe Kinder eine Voraussetzung für das Zusammenleben ist, als Zwangsmaßnahme oder Notwendigkeit anzusehen ist. Wobei ich Maßnahmen wie Kellerhaft oder sogar das Verschwinden eines Kindes und einfaches Ersetzen durch ein anderes (kaum vorstellbar) konsequent und ohne Einschränkung verurteile. Das ist ein Verbrechen! Auch muss ich anmerken, dass sowohl in Zeiten von DDR-Heimen und Staatssicherheit genauso wie heute die Kinder das wertvollste in unserer Gesellschaft darstellen. Sie sind wichtiger als Geld oder Macht. Zu hoffen ist, dass sich der Verantwortung unserer jungen Generation gegenüber alle Verantwortlichen auch bewusst sind. Soviel zu ersten Teil meiner Leseprobe.

Der zweite Teil liest sich, nachdem man erkannt hat, dass es sich hier um _die Judith_ aus dem ersten Kapitel handelt, wie die Darstellung einer Tätigkeit, die man gelinde ausgedrückt als gewöhnungsbedürftig bezeichnen kann. Noch dazu ausgeführt von einer Frau. Klar, solche Arbeiten sind wichtig. Doch wird auch erwähnt, dass es eine letzte Chance für Judith ist, die sie auf keinen Fall ungenutzt lassen will. Sie ist hart im Nehmen. Disziplin, gelernt im Kinderheim, hilft ihr hier wahrscheinlich. Es zeigt sich aber auch, dass sie feste Wertvorstellungen und hohe Achtung vor den Menschen empfindet. Sie würde sonst nicht so schroff auf Unbedachtheiten von Kai reagieren. Auch er bekommt mit der Arbeit mit ihr eine neue Chance. Sie weiß wie schwer ein solches Erlebnis, wie die Reinigung der Wohnung einer Toten, die mehrere Wochen schon der Verwesung ausgesetzt war, zu ertragen ist. Nicht nur physisch sondern auch psychisch. Kai muss lernen, dass auch die widerlichste Arbeit getan werden muss, dass auch Tote noch Respekt verdienen und vor allem die Lebenden. Immer wieder stellt Judith im frei - geh! Er bleibt. Ich bin gespannt, ob er diese Herausforderung annimmt.

Auch ist offen, ob und was Judith mit dieser Toten zu tun hat. Zu vermuten ist ein Zusammenhang mit ihrer Kindheit.

Beim Schreibstil fiel mir auf, dass ich oft erst nach dem zweiten Lesen eines Abschnittes erkannte, welche der handelnden Personen betroffen war. Bei weiterem Einlesen in den Text hat mir jedoch gerade diese Form des Textflusses sehr gut gefallen und ich kann mich sehr gut mit ihr identifizieren.

Abschließend kann ich einem Leserkreis, der nicht den knallharten Krimi bevorzugt, dieses Buch als Lektüre empfehlen.