Die letzten ihrer Art

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Der Klimawandel ist ein weltumspannendes Problem. Trotzdem können Romane über dieses Thema sehr persönlich sein. Die australische Autorin Charlotte McConaghy erzählt in ihrem Debüt Roman “Zugvögel“ (orig. „Migrations“) die Geschichte von Franny Stone, die den letzten Schwarm der Küstenseeschwalben in Grönland sucht und deren letzte lange Reise verfolgt. Die Autorin verbindet die vergangenen schmerzvollen Erlebnisse der Figur Franny mit der verlustreichen Zerstörung der Natur.

Charlotte McConaghy: Zugvögel
Was für ein beklemmendes Szenario. Wir befinden uns in einer nahen Zukunft. Der Klimawandel ist weiter fortgeschritten, so dass ganze Tierarten ausgestorben sind und Wälder bald nicht mehr bestehen können.  Die Meereswellen brechen über fast fischlose Ozeane.

An der Küste Grönlands treffen wir auf Franny Stone, eine emotional sehr zerrissene Ornithologin. Sie hat sich dem Schicksal der Küstenseeschwalben verschrieben. Ähnlich wie diese letzten verbliebenen Zugvögel, sucht Franny hier die Fortsetzung ihrer eigenen speziellen Wanderung. Sie hält Ausschau nach einem Fischkutter, der ihr ermöglichen soll, den Seeschwalben auf ihrem jährlichen unermesslich langen Zugweg von 30.000 km bis in die Antarktis zu folgen. Denn es wird wohl die letzte Migration sein. Ein paar Vögel hat sie beringt und mit einem Peilsender versehen, um zu schauen, ob es ihnen gelingt, ihr Ziel zu erreichen. Die Seeschwalben sind der Fülle der Meere beraubt worden, denn diese sind nun unergiebig.  Doch sie sind ausdauernde gute Fischjäger.

Fischkutter gibt es kaum noch, doch Franny trifft mit dem Kapitän der Saghani auf jemanden, der auf ihren Handel eingeht. „Saghani” bezeichnet in der Sprache der Inuit einen „Raben”. Eine Vogelart, mit der Franny in ihrer Kindheit sehr verbunden war. Doch nun ist auch diese ausgestorben.

Vielleicht findet die Crew des Kutters auf der Reise durch die Führung der Seeschwalben doch noch einen lange gesuchten Fang. Vielleicht den erträumten „Goldenen Fang“?
Doch die wahren Hintergründe dieser Suche bleiben dem Käpitän Ennis Malone lange verborgen.

Frannys Zeit mit der Crew der Saghani ist der intensivste und stärkste Teil der Geschichte. Mit wenigen Strichen werden hier die interessanten Charaktere der Crew entworfen:

"Sie sind Zugvögel, die es vom Land wegzieht, und sie lieben es hier draußen auf dem Meer, das ihnen ein anderes Leben bietet, sie lieben dieses Schiff und - sosehr sich sich kabbeln und streiten - lieben sie doch auch einander." (S. 129)

Da ist Basil, der leidenschaftliche Koch, der sich recht ausgefallenen Küchenkreationen hingibt,  Lea, eine farbige französische Mechanikern, die das Schiff zusammenhält, Samuel, eine freundliche Vaterfigur, und eine Reihe anderer Seeleute, die die Saghani in unbekannte Gewässer lenken. Von Grönland Richtung Süden haben sie mit Stürmen zu kämpfen und kommen auch in Konflikt mit dem Gesetz.

Während  Frannys Odyssee auf dem Meer verweben sich weitere Erzählstränge, die in ihre tragische Vergangenheit führen. Hier erfahren wir, welche düsteren Dämonen Franny belasten und sie zu so einem schwierigen und widersprüchlichen Charakter werden ließen. Auch enthüllt sich nun Frannys wesentlicher Grund, die Küstenseeschwalben Richtung Antarktis zu begleiten.

Fazit
Das Szenario des Romans in der nahen Zukunft mit den dramatischen Folgen des fortschreitenden Klimawandels ist erschreckend aber leider auch recht realistisch dargestellt.

Von Anfang an ist dieser Roman intensiv und berührend. Dass die Thematik des Klimawandels die Leserschaft sehr nachdenklich werden lässt, ist eigentlich positiv zu bewerten. Die Autorin schwingt nicht den moralischen Zeigefinger, sondern hofft, durch ihre Darstellung die Verantwortlichkeit für die Erde zu vermitteln.

Das Wesen Frannys bedingt die Melancholie, die zeitweise doch sehr belastend wirkt. Die Rückblicke in Frannys Vergangenheit sind schier überladen mit emotionaler Vernachlässigung, Verlassenwerden, Enttäuschungen, Misserfolgen und Tod. Für meinen Geschmack hat die Autorin ihre Protagonistin überfrachtet mit Gründen für ihre Verzweiflung und Traurigkeit. Die emotionalen Traumata ihrer Kindheit und Jugend, der Riss in der Beziehung zu ihrem Mann Niall, einem Umweltschützer,  ein Gefängnisaufenthalt, fatale Fehlentscheidungen, all dies führt dazu, dass sie nun vollkommen allein in der Welt steht. Das sind alles zu Herzen gehende Bilder, aber in diesem Übermaß eigentlich überhaupt nicht notwendig für die Wirkung dieses Romans.

Denn Franny  ist sehr tief mit der Natur verbunden und frei von irgendwelchen Ambitionen. Auf einer Art ist sie eine verlorene Seele und bestraft sich selber wegen ihrer unendlichen Unstetigkeit, die dem Instinkt der Zugvögel ähnelt. Eigentlich sucht sie konstant nach einer Heimat, einer Familie, irgendwas, wohin sie gehört. Aber dies fällt ihrem unsteten Wesen stets zum Opfer. Auf diese Weise der Natur sehr verbunden, fühlt sie den Verlust der natürlichen Welt ganz besonders schmerzlich. Sie macht in dem Roman eine deutliche Entwicklung durch und geht bis an ihre äußersten Grenzen, um den letzten Wunsch eines geliebten Menschen zu erfüllen.

Auch die Küstenseeschwalben als Motiv sind gut gewählt. Sie haben den längsten Zugweg aller Tiere. Sie fliegen jedes Jahr von der Arktis bis zur Antarktis und wieder zurück. Ihre Reise wird zu einer Art von Metapher für den Mut, den Franny für ihre eigene Reise braucht.

Insgesamt ein sehr berührender Debütroman.