Anspruchsvolles nahegehendes Leseerlebnis

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Hanya Yanagihara schickt uns in ihrem literarischen Werk 'Zum Paradies' durch 3 Epochen der Zeitgeschichte, beginnend im Jahr 1893 mit etwas anderer Vergangenheit, gefolgt von jeweils 100 Jahre auseinander liegenden Geschichten der Jahre 1993 und 2093. Dabei werden wir Lesende anhand von drei Lebensgeschichten durch die Zeit geführt, die doch miteinander verknüpft sind. Wir lernen besondere Protagonisten kennen, deren Leben geprägt sind von Einsamkeit und Ängsten, Höhen und Tiefen. Es geht um die (gleichgeschlechtige) Liebe, um familiäre Bande, um Gesundheit und Krankheit, um Hilflosigkeit und Stärke, um Haben und Verlieren, um düstere Zukunftsszenarien und um Imperialismus, Macht und Beherrschung. Schön wäre es das Paradies zu finden, aber es ist eben ein mühevoller Weg dorthin.

Kurz zu den drei Teilen der Geschichte, die in New York spielen:
1893: Gleichgeschlechtige Liebe ist akzeptiert. David, Sprößling einer reichen Familie, verliebt sich in einen dubiosen Musiklehrer und fordert die Erwartungen des beherrschenden Großvaters heraus.
1993: AIDS-Epidemie. Ein junger Hawaianer, David, liebt einen älteren dominanten Mann und verschweigt diesem seine Vergangenheit und sein besonderes Verhältnis zu seinem Vater.
2093: Zeit der Seuchen und Pandemien. Die Menschen werden von einem totalitären Staat bevormundet. Eine junge Frau führt eine Scheinehe mit einem homosexuellen Mann und versucht ihr eigenes Leben zu finden. Meiner Meinung nach der Beste der drei Teile des Buches, obwohl durch die Vergangenheitszeitsprünge innerhalb der Geschichte eine weitere Geschichte erzählt wird in Form eines unerklärten E-Mail-Schriftverkehrs mit einem Freund.

Das Buch ist hervorragend geschrieben, die Protagonisten sind facettenreich, die Geschichte spannungsreich, jedoch aufgrund einiger erzählerischer Längen auch fordernd für den Lesenden. Haarfeine Erzählfäden spinnen sich zwischen den drei Buchteilen und man meint, dass man aufgrund der Namensgleichheiten Verwandtschaften ableiten könnte und man spezielle ähnliche physisch-psychische Verhalten bei den verschiedenen Personen erkennen könnte: Nathaniel ist immer der Starke sich sorgende, David ist immer der Labile, Charles ist immer der Erfolgreiche, Eden ist immer die Undurchsichtige usw. Die starken Gefühle der Charaktere sind so gut dargestellt, dass sie mir teils fast zu nahe kamen. Die Handlung ist anspruchsvoll und nicht immer wird alles klar, zumal die gleichen Namen der Figuren von mir hohe Konzentration forderten. Aber gerade da einiges offen bleibt, öffnete es auch Türen für meine eigene Phantasie. Und es ist wahrlich genug zum Grübeln enthalten, gerade der 3. Teil, mit einer alles anderen als lebenswerten Zukunft, hat es aufgrund seines pandemischen Realbezugs in sich.

Mein Fazit: 'Zum Paradies' ist etwas anders als die bisherigen Romane Hanya Yanagiharas. Man muss sich auf die Geschichte einlassen und sie über fast 900 Seiten auf sich wirken lassen. Es lohnt sich es ein zweites Mal zu lesen und noch weiteres zwischen den Zeilen zu entdecken. Dieses Buch ist ein ideales Geschenk für sich selbst und Freunde der außergewöhnlichen Literatur.