Das Paradies als Trugbild

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april1985 Avatar

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"Und dann gehe ich los...an denselben Ort, an den Du hoffentlich gegangen bist, und ich werde nicht stehen bleiben, ich werde nicht rasten müssen, nicht ehe ich nicht den ganzen Weg gegangen bin...den ganzen Weg zum Paradies."

(Zitat aus Zum Paradies,  Pos. 6298)

Zum Paradies war mein erstes Buch von Hanya Yanagihara, eine Autorin, die ich mir auf jeden Fall merken werde. Hanya Yanagihara erzählt in 3 Episoden über Liebe, Familie, Krankheit, Verlust, Hoffnung und der Suche nach dem irdischen Paradies. Diese Themen ziehen sich wie ein roter Faden durch das gesamte epochale Werk und doch sind die 3 Geschichten nur sehr vage miteinander verknüpft. Mehrfach habe ich während des Lesens versucht die Zusammenhänge zu erfassen, habe auf den großen Aha-Effekt gehofft und dass mich die Erkenntnis einholt. Das war aber leider nicht der Fall, was auch mein größter Kritikpunkt ist. Und dennoch konnte ich das Buch nur schwer zur Seite legen.

Hanya Yanagihara hat mich mit ihrem unglaublich intensiven, sehr einnehmenden Schreibstil gefesselt.  Sie schreibt sehr ausschweifend und detailliert und sie lässt sich viel Zeit. Ihre Kunst ist es selbst belanglose Dinge und Ereignisse so zu beschreiben,  dass sie beim Lesen wichtig und spannend erscheinen.

Die Autorin nimmt uns auf eine Reise mit, die 3 Jahrhunderte umfasst; in die Jahre 1893, 1993 und 2043 bzw. 2093. Auf dieser Reise lernen wir David, Charles, Peter und Edward kennen, deren Leben in einem Haus aus Washington Square zusammenlaufen. Die Namen wiederholen sich in jedem Jahrhundert, es sind allerdings immer andere Persönlichkeiten bzw. Schicksale die dahinter stehen. Hier hätte ich mir eine eindeutiger erkennbare Verbindung gewünscht und nicht nur Namen, die sich überschneiden.

Mich hat besonders der erste Abschnitt beeindruckt. Es ist das Jahr 1893 und man hat natürlich eine gewisse Vorstellung davon. Doch schnell wird klar, dass Hanya Yanagiharas 1893 anders ist. Ein unabhängiger Teil der USA hat sich zum Freistaat ernannt. Ein scheinbares Paradies, in dem gleichgeschlechtliche Ehen vollkommen natürlich sind. Dieses Bild der alternativen Realität hat mich fasziniert. Es hat aber auch zum Nachdenken angeregt.

Leider konnte die zweite Geschichte hier nicht mithalten, da sie für meinen Geschmack dann doch zu viele Längen aufgewiesen hat.

Die dritte Geschichte hat mich wieder richtig begeistert, angesichts ihrer erschreckenden Aktualität. Es ist hier ein dystopisches Szenario, das Hanya Yanagihara zeichnet. Amerika ist unter staatlicher Kontrolle und schlittert von einer Pandemie in die nächste. Von dem scheinbaren Paradies zu Beginn ist nichts mehr übrig. Eine Erkenntnis macht sich breit: Die Suche nach dem irdischen Paradies ist vergeblich.

Fazit

Liebe, Familie, Sehnsucht, Hoffnung, Krankheit, Verlust und Trugbilder!

Zum Paradies hat mich beeindruckt, auch wenn mir nicht alles gefallen hat. Ich hätte mir insbesondere eine stärkere Verbindung zwischen den drei großen Abschnitten gewünscht. Die Motive und Themen kehren zwar in allen drei Geschichten wieder, der große Aha-Effekt ist aber ausgeblieben.