Kein Weg zum Paradies für mich

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"Der Gedanke, meine Herkunft könnte mich dazu nötigen, überhaupt auf irgendeine Art zu sein, war so fremdartig, dass man mir ebenso gut hätte sagen können, es gäbe eine andere, korrekte Art zu atmen oder zu schlucken." (S. 341f)

In gewisser Weise strebt jeder Mensch nach einem Leben voller Glückseligkeit und Liebe, ohne Sorgen und Ängste, letztlich: dem Paradies. In ihrem neuen Roman „Zum Paradies“ (OT: To Paradise, aus dem Englischen von Stephan Kleiner) erzählt Hanya Yanagihara in von menschlichen Schicksalen, ihrer Suche nach dem Paradies zu unterschiedlichen Zeitpunkten der amerikanischen Geschichte – oder einem Land, das an es erinnern soll.

Im ersten Teil begleiten wir David Bingham, einen jungen Mann Mitte Zwanzig, der 1893 mit seinem Großvater in dessen Haus am Washington Square in New York wohnt. Es ist eine Gesellschaft, in der Homosexualität und gleichgeschlechtliche Ehen erlaubt, ja, normal sind. Als letzter Junggeselle der Familie steht er sich unter Zugzwang, um sein Erbe antreten zu können, und wird schließlich Charles Griffith, einem wohlhabenden, aber wesentlich älteren Witwer, vorgestellt. Sein Großvater wünscht, dass sie beide die Ehe vollziehen, doch David fühlt sich zu dem geheimnisvollen, mittellosen Musiklehrer Edward Bishop hingezogen. Nun liegt es an ihm zu entscheiden: Möchte er ein sorgloses, beständiges Leben mit Charles führen oder sein Erbe aufgeben, seinem Herzen folgen und mit Edward leben?

Etwa hundert Jahre später, erneut New York. David Bingham – allerdings ein anderer als in Teil Eins – hat eine Affäre mit seinem Vorgesetzten Charles, dem Senior Partner einer Anwaltskanzlei. Doch ihre Liebe muss geheim bleiben, einzig heimliche, sehnsuchtsvolle Blicke sind erlaubt. Als David jedoch einen Brief von seinem Vater erhält, der in seiner Heimat Hawai’i im Sterben liegt, schweifen seine Gedanken immer wieder ab. Wer war sein Vater und welchen Einfluss hat seine Herkunft auf sein heutiges Leben, was ist damals vorgefallen?

Der letzte Teil des Buches spielt in einer dystopisch anmutenden Welt, die von den immer wieder auftretenden Pandemien in die Knie gezwungen wurde. Eine junge Frau lebt zu Beginn der 2090er Jahre mit ihrem eher kühlen Ehemann in einer ihnen zugeteilten Wohnung in Zone Acht. Ihr Tagesrhythmus ist von der Arbeit im Labor bestimmt, einzig der eine freie Abend jede Woche gibt eine Idee von Freiheit. Selbst hat sie kein Bedürfnis, die Wohnung zu verlassen, ist aber schon neugierig, wie und wo ihr Ehemann seinen Abend verbringt. Sie folgt ihm und kommt seinem Geheimnis schließlich auf die Spur – bis eine Katastrophe geschieht. Allerdings weiß sie nicht, welche Rolle ihr Vater und ihr Großvater in der Regierung und bei der Bekämpfung der Pandemien in den letzten Jahrzehnten spielten.

Wie man merkt, eine Verbindung inhaltlicher Art besteht zwischen den drei Teilen nicht wirklich, sie ist viel eher thematischer oder übertragener Natur: In jeder Geschichte ist das Haus am Washington Square von mehr oder weniger zentraler Bedeutung, ebenso wie die Namen der Protagonist:innen – David, Charles und Edward -, der Einfluss einer Krankheit oder Pandemie auf die Gesellschaft und das Leben, die Unterschiede ihres Stands in der Gesellschaft und die Umkehr einer heteronormativen in eine queer-freundliche Ordnung. Letztlich bleibt es jedoch beim Schmunzeln ob der oberflächlichen Überschneidung – eine tiefere Verbindung wird man vergeblich
suchen.

Hanya Yanagiharas Art zu schreiben, ist beeindruckend. Sie schafft mit ihren Worten eine magische Anziehungskraft, gibt jeder Geschichte eine der Epoche in Tonalität und Stil entsprechende Atmosphäre. Besonders im ersten Abschnitt war ich wie gefangen von den Kämpfen, die David mit seinem Herz und Verstand ausfechtet, entweder-oder-... Doch ab Mitte des zweiten Teils verlor sie mich. Die Sätze zogen sich ins Unendliche, sie schweifte aus, schlug Bögen, die ich für den Fortgang der Handlung nicht nachvollziehen konnte, wenn überhaupt so etwas wie eine Handlung dahintersteckte. Die Protagonisten verloren an Tiefe, die Emotionen schwanden – und meine Aufmerksamkeit mit ihnen. Der stilistische Wandel hin zur Dystopie und die sprunghaften Wechsel des Perspektiven und Zeitebenen im dritten Teil konnten mich leider auch nur mäßig begeistern. Mir gefiel die distanzierte, etwas emotionsarme Sprache der Protagonistin zunächst sehr, doch gerade das ist wohl auch der Grund dafür, dass ich selbst den Spaß am Lesen verlor, alles nur noch hin- und wahrnahm. Das Ende jedoch, das den Weg ins Ungewisse, gebeutelt von Katastrophen, freigibt, gefiel mir auf eine perfide Weise, erinnert es doch an das derzeitige Leben mit der Corona-Pandemie: wohin wird das alles führen, zu welchem Ausgang?

Denn das ist es, was aus jeder der Geschichten spricht, wenn man so mag das sie letztlich verbindende Element: Hoffnung und Zuversicht. Darauf, dass sich trotz all der Hindernisse, die einem das Leben, die Gesellschaft in den Weg legen, alles zum Guten wendet. Dass man ein Leben in Sicherheit und voller Liebe führen wird, seiner Herkunft, seiner Sexualität zum Trotz, zu welcher Zeit, in welcher Realität auch immer, den Weg zum Paradies findet. Doch ich habe ihn mit diesem Buch leider nicht gefunden.