Wieder ein Geniestreich

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emmmbeee Avatar

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Das Monumentalwerk „Zum Paradies“ besteht aus drei Büchern, übertitelt mit Washington Square, Lipo-wao-nahele und Zone Acht. Das Geschehen ist jeweils um ein Jahrhundert versetzt. Es sind drei Welten, die sich um gemeinsame Themen drehen: ungewöhnliche Liebesbeziehungen, die Erwartungen der eigenen Familie, Rassismus und nicht zuletzt die Hoffnung auf eine bessere Welt und den Weg dorthin. Drum lautet der Titel auch ZUM und nicht IM Paradies. Es geht auch um Homosexualität, die bereits im 19. Jahrhundert in wenigen Kreisen zur Normalität gehört und die doch nicht so frei gelebt werden kann, wie es scheint.
Wie schon in „Ein wenig Leben“ spielen auch in diesem Roman wieder schwere Verletzungen in der Kindheit die Hauptrolle, natürlich, denn die wirken sich immer aus, in jedem Leben.
Der dritte Teil ist naturgemäß besonders erschreckend für den Leser. Denn was sich durch Covid allmählich abzeichnet, nämlich weitere Pandemien und durch ihre Bekämpfung womöglich notwendig werdende strenge, ja autoritäre Regierungen, wird in Situationen dargestellt, vor denen wir derzeit lieber noch die Augen verschließen.
Hanya Yanagihara hat mit scharfem Pinselstrich drei miteinander verbundene Schicksalsgruppen gezeichnet, wie sie in unser aller Umfeld zweifellos vorkommen. Die gesellschaftlichen Gegensätze sind groß, auch die Hoffnungen und Enttäuschungen, das Herrschafts- und Klassendenken. Jeder Protagonist kämpft um die Erfüllung seiner Bedürfnisse, für seine Liebe, die persönliche Freiheit, für seine Stellung in der Gesellschaft.
Hanya Yanagihara ist wieder ein Geniestreich gelungen. Schon „Ein wenig Leben“ hat mich überwältigt. Auch in ihrem neuen Werk besticht sie durch eine Fülle von Einzelheiten, immer wieder überraschende Wendungen, das fulminante Geschehen, ihre bilderreiche Sprache, nicht zuletzt durch die kunstvolle Verknüpfung der drei Teile miteinander. Das sehr umfangreiche Werk verlangt ein reiches Maß an Durchhaltevermögen, doch Yanagihara schreibt so mitreißend, dass ich den Roman jeden Abend erst dann beiseitelegen konnte, wenn mir schon fast die Augen zufielen.
Man muss die Konfrontationen mit den geschilderten Schicksalen aushalten, wie schon im letzten Roman, dessen Handlung ich teilweise kaum ertragen konnte. „Zum Paradies“ ist also nichts für Leser, welche seichte Liebesromane mit vorprogrammiertem Happy End oder eine heile Welt bevorzugen. Zum Paradies führt ein steiniger Pfad, der im Nirgendwo endet.