Wut und Angst

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martinabade Avatar

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Dieser Debutroman ist ein kurzer. Kaum 120 Seiten. Und trotzdem steigen der Leser oder die Leserin aus dem Text aus wie nach einer sehr, sehr brutalen Achterbahnfahrt. Die beherrschenden Affekte: Angst und Wut, Wut und Angst. Die Autorin gönnt uns zwar ganze Sätze, aber keinen fließenden Text. Den haben wir uns nicht verdient. Da drei Seiten, hier ein Fitzelchen. Nur langsam erschließt sich das Setting. Alle Figuren haben Namen, nur die Ich-Erzählerin und ihr Freund nicht. Brown verweigert ihrer Protagonistin diese simple Abgrenzung gegen die Umwelt. In vieles, das sie in ihrem Monolog formuliert, müssen wir uns erst hineinlesen. Die auch heute gelebte britische Gesellschaftsordnung und der Umgang der Geschichte mit Glorie und Zerfall des British Commonwealth sind dem deutschen Leser, der deutschen Leserin fremd.

Der berufliche Werdegang der Ich-Erzählerin erscheint zielstrebig und erfolgreich. Erfolg zu haben, das war das gesetzte Ziel. Als Frau, und dazu noch als schwarze Frau, gab es dafür nur einen Weg: Leistung, Disziplin, Anpassung. Wie Brown an einer Stelle formuliert: „Bis die Knochen brechen.“ Sie macht Karriere, muss immer mindestens drei Mal so gut sein wie die Kollegen. Das kennen wir bundesdeutschen Frauen allerdings auch. Sie muss dann trotzdem die Beförderung mit einem Kollegen „teilen“ und wird von einem anderen angepöbelt, dass er nun als weißer Mann gegen eine schwarze Frau vollends bei Beförderungen durch die Quote fiele. Das Diktat der Diversity mache ihn zum Opfer. Arbeit als Hochleistungssport. Statusillustration als Bedingung. Zwischendurch immer wieder verzweifelte kleine Blitzlichter von Arztbesuchen und Diagnosen. Krebs. Sie belügt den Freund. Alles gut.

In der zweiten Hälfte des Textes weitet die Autorin den Blickwinkel der Leser und Leserinnen durch die Brille und Gedankenwelt der Protagonistin. Erinnerung an die Kindheit in der jamaikanischen Familie; das Gefühl, mit dem britischen Pass in der Tasche, im weißen Großbritannien wie ein Paria behandelt zu werden. Exemplarisch: der Flughafenangestellte, der sie ohne weiteres Federlesen wie selbstverständlich auf dem Weg zum Business Check-In abfängt und an die Economy-Schlange laviert.

Als sie bei den wohlhabenden und genealogisch über Jahrhunderte im britannischen Boden verwurzelten Eltern des Freundes unter dem Etikett „die aktuelle Herzensangelegenheit des Sohnes“ zu sein, zu einem Party-Wochenende eingeladen ist, prallen „die kleine Menschenseele“ und das „global Historische“ in der Protagonistin aufeinander – und es zieht ein unglaubliches Gedankenexperiment in ihr auf.

P.S.: Lieber Verlag, was habt Ihr Euch bei dem Cover gedacht? Ich verstehe ja die englisch gestutzte Heckensichtlinie. Aber doch nicht so, oder?
P.P.S.: Liebes Lektorat, auch auf die Gefahr, dass ich pinschiterig wirke - der Plural von "Aula" ist NICHT "Aulas".