Zusammenkunft der positiven und negativen Eigenschaften hoher Literatur

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angie99 Avatar

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Mit hoher Literatur ist das so eine Sache: Im besten Fall eröffnet sie neue sprachliche Welten, die zu entdecken zwar Mühe kostet, aber gleichzeitig staunen lässt und bereichert. Im schlechtesten Fall wird sie zu einer Aneinanderreihung von Wörtern, deren Sinn sich den Lesenden vor lauter Verschwurbelung nicht mehr erschließt.

Und nun ist da "Zusammenkunft".
Zusammenkunft ist hohe Literatur.
Und Zusammenkunft ist die Zusammenkunft der positiven und der negativen Aspekte von Literatur. Mir ging es jedenfalls so.

Zusammenkunft handelt von einer weiblichen PoC, die es mit Fleiß und Selbstaufgabe bis in die hohen Etagen einer Londoner Bank geschafft hat. Die Ich-Erzählerin pickt kurze Szenen aus ihrem Alltag heraus, die sehr prägnante Einblicke in ihre Arbeits- und Gedankenwelt geben.

So interessant ich ihre messerscharfen Beobachtungen fand („Was bedeutet Staatsbürgerschaft, wenn du zugesehen hast, wie grelle GoHome-Lieferwagen deine Straße entlangkrochen?“ (S. 64), so irritiert war ich wiederum von Textabschnitten, die ich nicht einordnen konnte, die ich entweder als zu trivial oder aber als zu abgehoben empfand: „Ein Windhauch Brutalität schneidet dich jeden Tag – wie rechtfertigst du das? Deine Erfahrung? Durchschnittenes Fleisch. Deine Hoffnung. Verdunstung?“ (S. 66)

Zusammenkunft bleibt für mich deshalb insgesamt ein durchschnittliches Leseerlebnis: Da sind einerseits differenzierte Reflexionen und beachtenswerte Ansätze, die mir z.B. die Verbindungen vom totgeglaubten Imperialismus zum heutigen Rassismus aufgeschlossen haben. Andererseits aber ein durch die fragmentierte Schreibweise holperiger Lesefluss und eine schwer zu greifende Hauptfigur, deren Ringen um einen Platz in der Gesellschaft mir zu vage und zu distanziert geblieben ist.