Wenn Gefühle einen zu zerfressen drohen

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elke seifried Avatar

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„Deine Sommersprossen sehen aus, als wären sie alle genau an die richtige Stelle getupft“, sagte er dann. Noch nie in meinem gesamten Leben hatte ich etwas so absurd Kitschiges gehört. Ich riss mich zusammen, um nicht loszulachen– es gelang mir nicht recht. Sein unsicheres, beinahe irritiertes Lächeln verriet mir, dass er sich selbst fragte, warum er das gerade gesagt hatte. Und mit dem gleichen Grad kitschigen Schwachsinns erwiderte ich das Erste, was mir als Antwort einfiel:„Deine Augen leuchten, als hätte man darin Lichterketten aufgehängt.“ Die ganz große Liebe auf den ersten Blick muss es zwischen Cem und Jess gewesen sein, wie man im Prolog erfährt. Wie kann es da sein, dass die beiden kein Paar, sondern nach langem Ringen wie man erfährt angeblich nur noch Freunde sein wollen, als die beiden einem furchtbaren Überfall zum Opfer fallen. Aufs brutalste verprügelt, erniedrigt und von einem Rassisten ins Koma befördert, wacht Cem erst Tage später wieder auf und er muss sich dieselbe Frage stellen, wie der Leser, denn ihm fehlt die Erinnerung an die letzten achtzehn Monate und genau in denen muss eine andere Tragödie die Liebe der beiden entzweit haben.

Was ist zwischen den beiden geschehen, warum kann Jess Cem keine Antworten geben, werden sie ihre Probleme aufarbeiten und ihre Dämonen loswerden können und gibt es vielleicht doch noch eine gemeinsame Zukunft für zwei Menschen, die scheinbar so viel miteinander verbindet? Das wird natürlich nicht verraten.

Die Autorin kann sich ausdrücken, weiß wie man Gefühle beschreibt, sodass man als Leser meint, man würde die Schmerzen, Ängste oder auch die Freude selbst miterleben müssen. Trifft es einen doch z.B. furchtbar, wenn man lesen muss, „Diese dunkle Gefühlsplage in mir. Sie steckt tief in meinem Kern, frisst mich auf wie ein Schwarm Heuschrecken gigantische Felder, verschlingt mich innerhalb von Sekunden und doch immer und immer wieder aufs Neue. Wie die Albträume vernichtet sie mich von innen heraus.“, oder geht einem das Herz auf, wenn da steht, „Von ihm gehalten zu werden, ist so schön, dass ich beinahe zu weinen beginne. Noch nie hatte ich das Bedürfnis zu weinen, weil etwas nichts als schön ist.“, oder auch, „Sein elendes Lächeln hat die Fähigkeit, auch die härtesten Herzen in Watte zu verwandeln. Und meines ist in seiner Gegenwart ohnehin schon dauerbaumwollweich. Ich kann nicht anders, als zurückzulächeln.“ Ich möchte keine einzelne Szene kritisieren, denn alle für sich genommen, sind so bildgewaltig, enorm emotional und ja durchaus grandios beschrieben, dass ich mir alles genau ausmalen konnte, ein Film hätte das nicht so gut visualisieren können. Denn wer hat bei den Worten, „Und dann bin ich weg, und nicht einmal Worte prügeln sich noch aus mir heraus, nur noch ein Brüllen. Wie ein beschissener Hulk, der in meinem Fall mehr höllenschwarz als grün, mehr Tier als Mensch die Welt um sich herum in Trümmer legt. Meine Fäuste donnern gegen Schranktüren, bringen Stühle zu Fall, wie man mich zu Fall gebracht hat. Mein gesunder Fuß holt aus, tritt gegen den Kühlschrank, wie ich die Menschen treten will, die mich aus mir herausgerissen haben. Tritt gegen diesen verfluchten, gigantisch großen, tortenlosen Kühlschrank. Meine Fäuste machen mit, notdürftige Krusten springen auf, lassen die Haut reißen wie meine Seele. Noch mal und noch mal schlagen sie zu, platzen sie auf.“, nicht auch sofort einen völlig verzweifelten Mann vor Augen, der nicht wohin weiß mit seinen eigenen Emotionen, nein vielmehr, der nicht weiß, wie er seine Dämonen abschütteln soll. Gut hat mir auch gefallen, dass ich durchaus auch immer wieder einmal schmunzeln konnte. Dialoge bzw. Argumente wie, „Wenn du nicht Ja sagst, stehe ich jeden Tag nach Feierabend vor deiner Wohnung, um dich zu fragen. Du willst Freundschaft? Du kriegst Freundschaft.“ Auf unseren Gesichtern erscheint ein Lächeln, das mich einen Lügner schimpft– aber leise und sanft.„Wenn du nichts aus dieser Jogging-Geschichte gelernt hast“, spreche ich mit einem lässigen Schulterzucken weiter, ist das nicht mein Problem. Ich gebe aber zu, dass ich den Prozess gern abkürzen würde. Ich meine, du weißt doch… mein Bein, das lange Stehen und so.“, haben mich zumindest zum Grinsen gebracht.

„Wenn Liebe einen verrückte Dinge tun lässt, lassen einen Trauer, Wut und Verzweiflung manchmal nur gemeine Dinge tun. Die ätzende Mischung ergibt dann wohl diesen Mist hier.“, „Seltsamerweise hat mich Cems Nettigkeit mehr aus dem Gleichgewicht gebracht als seine Wut. Auf gewisse Weise konnte ich ganz gut mit dem leben, was er mir in den Tagen zuvor immer mal wieder vermittelt hat– so weh es auch tat: das Gefühl, falsch zu sein, wie ich bin. Denn es trifft erstaunlich genau das, was ich empfinde.“ Das sind nur zwei Szenen, die mich auch sehr zum Nachdenken über mein eigenes Leben angeregt haben, geht es mir doch ähnlich, oder bin ich stets darum bemüht schlechte Laune an keinem anderen auszulassen. Auch wie wichtig das Miteinander-Reden ist, hat mir die Autorin wieder einmal deutlich vor Augen geführt. Dass ich immer wieder auf mich selbst blicken konnte und auch solch durchaus zuversichtlich stimmende Erkenntnisse, die sich in der eher düsteren Emotionswelt der beiden finden, wie „Wir müssen niemandem den Mittelfinger zeigen, auch nicht dem Schicksal. Mitunter ist es das Klügste, sich demütig zu verbeugen, weil alles, was trotz aller Vorsicht, trotz unserer täglichen Kämpfe und unserer einst so anders gearteten Hoffnungen nun einmal zu uns gehört, uns zu uns gemacht hat und es uns erlaubt, noch zu leben, zu lieben und für beides zu kämpfen.“, hat mir gut gefallen.

Voll des Lobes bisher, warum aber trotzdem „nur“ drei Sterne? Ich habe zu Beginn wie gebannt gelesen. Im Prolog war ich sofort furchtbar gerührt von der Schilderung deren Kennenlernen, Liebe auf den ersten Blick, wirklich toll gemacht und dann ging die Achterbahn der Gefühle mit Vollgas in die Tiefe. Richtig geschockt davon, welch brutalem Überfall betrunkener Rassisten die beiden zum Opfer fallen, hat mich die Autorin sofort in die Geschichte gezogen. Auch im ersten Teil, in dem man in kleinen Häppchen erfährt, was vorgefallen ist, warum die beiden kein Liebespaar mehr sind, was der Auslöser für ein Auseinanderleben gewesen ist, war ich sehr neugierig, wollte darüber mehr erfahren und habe gerne gelesen. Warum plagen eine Jess so furchtbare Dämonen, warum kann sie die Liebe, die sie ja eigentlich nur unterdrückt, nicht zulassen, was ist noch alles zwischen den beiden vorgefallen, außer, dass jede Menge Geschirr zu Bruch ging? Ich wollte Antworten nicht zuletzt auch auf die Frage, bekommen sich die beiden, die scheinbar so geschaffen füreinander sind, wieder. Aber je mehr sich die Szenen geähnelt haben, denn es geht nur Millimeterschritte weiter beim Aufarbeiten von Problemen und in Richtung einer gemeinsamen Zukunft, immer wieder auch einige rückwärts, desto ungeduldiger bin ich geworden. Ich habe mir zunehmend mehr gewünscht, dass sich die Geschichte endlich einmal ein wenig weiterbewegt, dass etwas die Gefühleaufarbeitung der beiden vorantreibt oder zumindest mit etwas Anderem unterbricht und damit dem Ganzen etwas mehr an Handlung verleiht.

Die Autorin widmet sich in ihrem gesamten Roman eigentlich nichts anderem als dem Seelenleben ihrer beiden Hauptprotagonisten, woraus sich auch ergibt, dass diese dadurch großartig gezeichnet sind. Einen tieferen Blick in das Innere eines Menschen kann man wohl nicht geben. Viel mehr Mitspieler gibt es hier nicht, aber ein besonders einnehmendes Wesen hat Emre, der beste Freund der beiden, der die Handlung immer wieder durchkreuzt.

Alles in allem ein äußerst emotionaler Roman, der von tiefen Gefühlen erzählt, bei dem mir aber zunehmend ein deutliches Mehr an Handlung gefehlt hat. Mehr wie drei Sterne sind es da für mich leider nicht.