Folgt Verliebtheit vernünftigen Argumenten?

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jackolino Avatar

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Anika Deckers neuer Roman widmet sich neben der Liebe und dem Altern einem Thema, das nach dem Klappentext eher nicht vermuten würde: dem Machtmissbrauch in der Filmindustrie.

Der Titel ist geschickt gewählt und macht zumindest neugierig.

Es geht um Nina. Sie ist knapp 50, Mutter zweier erwachsener Kinder und seit einigen Jahren geschieden. Ein Ehevertrag hat sie recht mittellos zurückgelassen, so dass sie froh war, einen schlecht bezahlten Job als Produktionsassistentin in einem Filmstudio zu bekommen. Mit ihrer Kollegin Zeynep kopiert sie tagein/ tagaus Drehbücher und ist erste Anlaufstelle für neue Schauspieler. Beide betreuen zusammen eine Krimiserie mit einem Serienhelden, dem man übergriffiges Verhalten nachsagt.

Nina hat einiges an Familie in der Nähe. Wir lernen ihre Mutter Karin, ihre Schwester Lena mit Familie sowie ihre Kinder Ben und Marie kennen. Dazu kommt ihr Ex-Mann Phil und während einer Geburtstagsparty für Phils neue Kinder begegnet sie David, einem knapp 30jährigen jungen Mann mit ganz viel Charme. Beide verlieben sich ineinander. Dem Himmelhochjauchzend folgt aber schon ganz bald das zu Tode betrübt sein, denn welche Chance hat denn bitte eine Liaison einer 50jährigen mit einem 30jährigen? Bei ihrem Ex hat sich das niemand gefragt, dass er in seinem Alter noch einmal Chancen bei einer jungen Frau hatte und sogar noch Zwillinge gezeugt hat, das hat ihm sogar Respekt und Bewunderung eingebracht. Bei Nina regen sich alle nur auf, und Nina selbst macht da keine Ausnahme. Lediglich David scheint sich von Anfang an nichts aus dem Altersunterschied zu machen und ich würde seine Zuneigung zu Nina auch nicht als Ödipus-Komplex bezeichnen.

Diese Beziehung nimmt im Buch zwar viel Raum ein, mindestens genauso wichtig sind aber die Themen „Altern in der Familie“ und „Sexueller Missbrauch am Arbeitsplatz“. Es war bestürzend zu lesen, mit welchen Mitteln von den Filmproduzenten gegen Opfer von sexueller Gewalt vorgegangen wird. Auch wenn es sich um Fiktion handelt, so wird es doch Parallelen in der Wirklichkeit haben.

Die Geschichte ist jeweils aus der Sicht eines der Protagonisten geschrieben, hauptsächlich kommt die Familie zu Wort, weil es um sehr viel Ungesagtes, um lange zurückliegende Verletzungen geht. Erst als am Krankenbett der Mutter die Situation zwischen Kindern und Enkeln eskaliert und man zum ersten Mal ehrlich miteinander ist, ergibt sich dadurch auch eine neue Basis.

Anika Decker hat ein Buch mit viel Humor geschrieben, die Passagen rund um die Influencerin Lulu und ihre Followerinnen fand ich köstlich und habe mehrere Male laut gelacht. Aber auch Zeynep ist nicht auf den Mund gefallen. Mir ihr kann Nina so ehrlich sein, wie sie es sich mit ihrer Familie gewünscht hätte.

Für mich war das Buch mehr als nur eine Liebesgeschichte zweier Menschen mit einem großen Altersunterschied, gerade auch die anderen Themen gaben dem Buch Tiefe und Gehalt.