Politisch, kämpferisch und eine Herausforderung

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ellus Avatar

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Ein Buch das sehr anspruchsvoll zu lesen ist und schwierig zu beurteilen...
Wenn ich es gelesen habe, hatte es durchaus meine gespannte Aufmerksamkeit, aber sobald ich es weggelegt habe, blieb es dann auch mal ein paar Tage liegen, so dass ich mich erst wieder aufraffen musste. Man hat das Gefühl, ein sehr kluges, literarisch sehr spannendes Buch zu lesen, nur leider ist der Zugang dazu sehr erschwert.
Zum einen wird im Text sehr viel Wissen über brasilianische und britische Geschichte vorausgesetzt, ohne das man sich im Geschehen der Handlung nicht sehr leicht zurechtfindet, da historische Zusammenhänge größtenteils nur angedeutet werden (Innerhalb der Anmerkungen der Autorin am Schluss werden einige im Text angedeutete Ereignisse erklärt, was aber natürlich nur bedingt hilft, wenn man dann bereits die Lektüre beendet hat...). Auch springt die Geschichte zwischen Schauplätzen, Zeiten und Personen, was die Orientierung erschwert.
Eingeschobene größere Abschnitte auf portugiesisch, die nur teilweise übersetzt werden, lassen nicht-sprachkundige Lesende (vermutlich?) einiges (wichtiges?) verpassen. Während der Lektüre nach Übersetzungen zu suchen hätte mich wahrscheinlich noch mehr aus dem Lesefluss herausgerissen, in dem ich mich auch ohnehin schon gerade so halten konnte.

Der Stil ist sehr poetisch und für einen Roman sehr ungewohnt künstlerisch, fast experimentell. Der Erzählstil bewegt sich zwischen Stream of Consciousness und Rausch, lauter atemlos und zeichenlos aneinandergereihte Sätze, Eindrücke die auf einen einströmen, ohne klar zu fassen zu sein, eine Collage aus einzelnen Erinnerungen und Szenen.
Insgesamt respektiere ich diese Stilentscheidungen sehr, da sie die Grundatmosphäre der Geschichte stimmig widerspiegeln.
Für eine bessere Lesbarkeit und ein besseres Verständnis hätte ich mir aber doch vielleicht mindestens ein paar mehr Satzzeichen gewünscht, so dass man wenigstens in den Dialogen weiß, wer gerade spricht.

Das Buch ist definitiv eine Herausforderung, voller politischer und gesellschaftlicher Fragen (Demokratie, Gleichberechtigung, Race, soziale Gerechtigkeit, feministische und queere Themen...). Es ist in seiner Reichweite und Sprache beeindruckend, aber liest sich sicher nicht mal eben so zwischendurch.



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An einigen Stellen sind mir Unaufmerksamkeiten der deutschen Übersetzung aufgefallen, vor allem Formulierungen, an denen ein anderes Wort deutlich mehr Sinn ergeben hätte [z.B. hätte eine Katze sicher eher einen Riss bzw. eine Kerbe im Ohr, als eine Träne (vermutlich stand 'tear' im Original?)].
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